Gründen mit Ü40 und Kindern? Na klar!

Gibt es fürs Gründen des eigenen Unternehmens so etwas wie den „richtigen Zeitpunkt“? Die Frage stellst du dir vielleicht, wenn du eine Geschäftsidee hast und dein Schulabschluss schon eine ganze Weile zurückliegt. Ist das Gründen abseits der 30, 35, 40 anders? Welche Rolle spielen die familiäre Situation, Kinder und der Lebensstandard? Das haben wir Ellen Lutum gefragt. Die Verlagsgründerin war früher Krankenschwester auf einer Palliativstation und hat dann eine Ausbildung zur psychotherapeutischen Heilpraktikerin absolviert und sich selbstständig gemacht. 2023 hat sie zudem, nachdem sie schon mehrere Bücher geschrieben hatte, einen eigenen Verlag gegründet und ist nun Selbstständige und Unternehmerin. Uns hat sie verraten, welche Herausforderungen und Chancen das Gründen 40+ bietet. 

Was war für dich der Auslöser, dich selbstständig zu machen?

Ursprünglich wollte ich mich gar nicht selbstständig machen. Ich habe zu der Zeit für ein Sportstudio gearbeitet und wollte meine neuen und zusätzlichen Qualifikationen dort in Kursen auf eigene Rechnung anbieten. Das wollte die Inhaberin nicht, aber offen mit mir gesprochen hat sie darüber auch nicht. Ich habe mir daraufhin eigene Räumlichkeiten gemietet und war damit selbstständig.

Ich bin so froh darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben – rückblickend war das die beste Entscheidung in meinem beruflichen Leben. Ich liebe die Unabhängigkeit und auch das alleinige Arbeiten. Mich auf niemanden anderen verlassen zu müssen und nicht von jemand anderem abhängig zu sein – das liebe ich. 

Wie ist es als Frau mit Kindern und Ü40 zu gründen? 

In Deutschland sind viele, mehr als die Hälfte aller Gründer:innen, über 35 Jahre alt. Das liegt zum einen daran, dass deutsche Unternehmen jährlich tausende Führungskräfte im Alter über 40 abbauen und diese es dann auf der Suche nach einer neuen Festanstellung schwer haben. Ein anderer Grund ist sicherlich, dass, je älter wir werden, unser Rucksack immer schwerer wird. Wir haben uns an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt, vielleicht haben wir Kinder, die wir versorgen müssen, Eigentum, das finanziert werden muss, und andere Verpflichtungen. Dazu fehlt vielen, die eine gute Idee haben, die Erfahrung der Selbstständigkeit. Das alles sollte man sicherlich bedenken, bevor man mit über 40 gründet. Aufhalten lassen sollte man sich dadurch aber nicht. 

Ich denke, dass man als Frau in kaum einem anderen Job Kinder und Karriere so gut unter einen Hut bekommt wie als Selbstständige oder Unternehmerin.

Ellen Lutum

Ich verbringe unglaublich gern Zeit mit meinen Kindern. Für mich war es wichtig, trotz Unternehmertum mit meinen Kindern gemeinsam Mittag essen zu können. Solche Prioritäten hat man, wenn man sehr jung gründet, wahrscheinlich nicht. Bei mir stand auch früher der Umsatz nicht so im Vordergrund – ich wollte nie gründen, um so und so viele Nullen zu verdienen und einen Exit hinzulegen. Für mich bedeutet Gründen eher Freiheit. Das Ausbauen meines Business hat Zeit gebraucht, aber dafür konnte ich als junger Mensch auch meine Zeit in der Disco genießen. 

Was waren in diesem Prozess für dich persönlich die größten Hürden?

Eine oft gestellte Frage, die ich zum Thema Gründen 40+ höre ist: Ellen, wie führst du ein Business mit drei Kindern? Ich verstehe die Frage nicht. Ehrlich. Es gab nie große Hürden mit Kindern, auch nicht, als die Kinder klein waren. Ich komme aus dem Gesundheitssystem und musste dort jedes zweite Wochenende arbeiten. Ich habe im 3-Schicht-System gearbeitet plus Feiertage – alles, was danach in der Selbstständigkeit kam, war gefühlt so viel leichter.

Klar gab es Prioritäten, dass ich zum Beispiel auch viel unterwegs war und ich einiges umorganisieren musste. Aber die Arbeit war so für uns – für mich. Selbst meine Oma hat immer schon gesagt: „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“ und „Ohne Fleiß, kein Preis“. Da ist schon etwas Wahres dran. Doch wenn du weißt, wofür du das tust, was dein Warum ist, dann gibt es keine Hürden oder Hindernisse. Dann gibt es beim Gründen über 40 Herausforderungen und du suchst einfach nach Lösungen. 

Woher wusstest du, dass du dazu bereit bist, dich selbstständig zu machen?

Ich habe bemerkt, dass ich mich selbstständig machen möchte, weil ich total meckerig war. Wir Deutschen sind leider ja sehr sicherheitsbedürftig. Ich finde es hilft, sich immer zu fragen, was im schlimmsten Fall passieren kann. 

Und wann ist der richtige Zeitpunkt, sich selbstständig zu machen? 

Ich war als ich gegründet habe schon sieben Jahre lang selbstständig als Coachin. Ich denke, das hat mir die Entscheidung erleichtert; auch Selbstständige müssen sich permanent selbst antreiben und motivieren können. Hätte ich mich nicht selbstständig gemacht, weiß ich nicht, ob ich noch mit meinem Mann verheiratet wäre. Ich habe damals so viel genörgelt und ihn für meine Unzufriedenheit verantwortlich gemacht.

Du hast einen Bestseller geschrieben, der über 30.000 Mal verkauft wurde. Hat dir die Erfahrung aus deinem vorherigen Beruf dabei geholfen?

Eigentlich nicht, nein. Aber genau das ist ja auch das Schöne: Man kann immer alles noch lernen. 

Was sind die Vorteile an der Selbstständigkeit in Hinblick auf Kinder und Familie? 

Ich komme als Krankenschwester aus einem sehr starren Konstrukt, in dem alles – Feiertage, Schichten, 8 Stunden am Stück – unumstößlich vorgeschrieben waren. Der Reiz an der Selbstständigkeit war für mich, mich davon freizumachen und selbst über meine Zeit bestimmen zu dürfen. Das ist es auch, was ich immer noch am allermeisten an meinem Job – egal ob als Unternehmerin oder Coach – schätze.

Mutter zu sein, stellt viele Frauen vor eine Herausforderung. Das Kind zum Kindergarten bringen und wieder abholen, Krankheiten managen – das geht meistens nur, weil die Frau Care-Arbeit macht. Ich will damit jetzt nicht sagen, dass jede Frau ihre Festanstellung kündigen und sich selbstständig machen soll. Ich denke aber, dass wir hier in Deutschland nach wie vor einen absoluten Nachholbedarf an Betreuungsangeboten haben. Ohne soziales Netzwerk und Großeltern, ist es gerade auf dem Dorf schwierig, alles unter den Hut zu kriegen.

Und was sind die Nachteile am Unternehmertum?

Viele unterschätzen Selbstständigkeit komplett. Wenn ich zum Beispiel die aktuellen Debatten um die 35-Stunden-Woche höre, muss ich sagen, dass ich da weit, weit drüber bin – vielleicht zur Überraschung mancher. Wenn ich erzähle, dass ich mittags durchaus mal gern joggen gehe, denken einige, ich habe durch meinen Job ständig Freizeit. So ist es aber nicht.

Ich arbeite wesentlich mehr als früher und auch gern mal am Wochenende oder spätabends. Man muss sich als Selbstständige und Unternehmerin nicht nur motivieren, sondern manchmal auch bremsen können. Immer nur Vollgas geben: Das geht nicht. Ich habe das Glück, dass ich meinen Job wirklich liebe und dafür brenne, aber man will ja nicht ausbrennen. Ich achte deshalb darauf, mir regelmäßig Pausen einzuräumen, in denen ich wirklich gar nichts tue. 

Vereinbarkeit ohne Abstriche als Frau – dafür braucht es Hingabe…

Genau. Ich denke, dass man als Frau in kaum einem anderen Job Kinder und Karriere so gut unter einen Hut bekommt wie als Selbstständige oder Unternehmerin, da man hier die maximale Freiheit über die eigene Zeitgestaltung genießt. Das geht aber nur, wenn man dabei so für den Job brennt, dass man es nicht als belastend empfindet, sich auch abends, wenn andere den Feierabend genießen, oder am Wochenende an den Laptop zu setzen.

Mein Mann und ich haben jeden Tag feste Meetings und sitzen spätestens um Punkt 9 am Schreibtisch. Wenn ich schreibe, fange ich früher an, sodass ich nicht gestört werde. Darüber sollte man sich im Klaren sein, bevor man loslegt. Ansonsten denke ich aber: In eine Anstellung zurückgehen, kann man auch immer wieder. 

Ellen Lutum

Über Ellen Lutum

Ellen Lutum ist eine Expertin für bedingungslose Selbstliebe und eine bekannte Autorin. Sie unterstützt Frauen dabei, ihre Selbstliebe zu entdecken, zu stärken und neue Wege zu gehen. Durch ihre Arbeit bringt sie mehr WOW, Resilienz und Gelassenheit in das Leben und die Beziehungen ihrer Klientinnen.

Mit ihrem Bestseller-Buch „Sei die Liebe deines Lebens“ und dem gleichnamigen Podcast erreicht Ellen monatlich Hunderttausende von Frauen. Sie inspiriert sie dazu, sich aus dem selbst geschaffenen Hamsterrad zu befreien und ein erfüllteres Leben zu führen.

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