Die niederländische Politikerin Sophie in’t Veld sitzt bereits zum zweiten Mal als Abgeordnete im Europaparlament. Sie hat den Bericht über die Gleichstellung von Männern und Frauen in der EU geschrieben – und einen Resolutionsentwurf zum Thema. Im Europaparlament heiß diskutiert wurde dazu neben der Abtreibungsfrage auch die Idee, eine Frauenquote für Aufsichtsräte vorzuschreiben. Bei solchen Auseinandersetzungen lebt Sophie in’t Veld auf. Im Interview erklärt sie, wo das Kompetenzdenken bei Top-Positionen schiefliegt – und warum Frauen nicht nur das Kämpfen, sondern auch das Verlieren lernen sollen.
Frau in’t Veld, Sie haben eine Resolution zur Situation von Frauen in der EU entworfen, die unter anderem eine europaweit bindende 30-Prozent-Quote für Frauen in Aufsichtsräten vorschlägt. Warum fordern Sie keine 50-Prozent-Quote? Sophie in’t Veld: Klar kann man 50 Prozent verlangen, aber das geht dann mit längeren Fristen einher. Außerdem glaube ich, wenn man erst einmal eine kritische Masse erreicht, etwa 30 Prozent, dann wird sich der Prozess selbst weiterführen, ganz natürlich, wenn man so will. Die Idee ist ja keine ewig währende Quote, sondern ein Instrument, um diesen Durchbruch zu schaffen.
Vor kurzem sind einige weibliche CEOs gescheitert oder wurden entlassen, einige davon nach recht kurzer Zeit. Schadet das der politischen Debatte? Ich habe in Studien gelesen, dass es offenbar eine Tendenz dazu gibt, Frauen in dem Moment auf CEO- oder Topmanagement-Jobs zu berufen, in dem ein Unternehmen in Schieflage geraten ist. Ich nehme an, dahinter steckt eine Art unbewusster Mechanismus: Die Leute wollen sich nicht die Finger verbrennen und halten sich von schwierigen Jobs fern. So werden die beinahe unmöglichen Herausforderungen an Frauen gegeben, die dann nahezu unvermeidlich scheitern werden. Und dann wird ihnen dafür mehr Schuld gegeben als Männern. Die politische Debatte ist schwierig, weil es auch viele Frauen gibt, die aus Angst davor Quotenfrauen zu werden, gegen die Quote sind. Da würde ich sagen: Viele Männer wurden auch nicht wegen ihrer beachtlichen Kompetenz berufen. In den letzten Jahren wurden zum Beispiel viele Banker gefeuert, die richtig Mist gebaut haben. Man kann nicht sagen, dass Männer allein aufgrund ihrer Verdienste berufen werden, da schauen Sie mal, wie die sich benehmen. Ich habe einen Slogan gehört, der mehreren Leuten zugeschrieben wurde, ich glaube, er ist von einer Amerikanerin, die sagte: „Wahre Gleichheit ist erst dann erreicht, wenn es so viele inkompetente Frauen wie Männer in Führungspositionen gibt.“ Das ist eine sehr wahre Bemerkung.
Warum ist genau jetzt der Zeitpunkt, um zu handeln? Weil es lange überfällig ist! Wir stehen jetzt 40 Jahre nach der zweiten Welle der Emanzipation, und wir haben uns nicht sonderlich weiterentwickelt. Da muss etwas geschehen. Manche Leute im Parlament sagen, dass die Menschen in Führungspositionen allein aufgrund ihrer Leistungen und Verdienste ernannt werden. Aber wenn drei Prozent der CEOs multinationaler Unternehmen Frauen sind und 97 Prozent Männer, kann mir mal einer das Verhältnis zwischen ihrer leistungsbezogenen Berufung und dem Zustand unserer Wirtschaft erklären? Brauchen wir noch mehr Rechtfertigung dafür, dass jetzt gehandelt werden muss? Hinzu kommt die Moralfrage: Können wir behaupten, dass wir in einer voll entwickelten Demokratie leben, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht an Entscheidungsprozessen in der Wirtschaft und in der Politik teilnimmt?
Wie verlief die Quotendiskussion im Parlament? (lacht) Na ja, wir haben keine körperlichen Auseinandersetzungen oder so. Sagen wir, es war eine lebhafte Debatte. Einige vom rechten Flügel sind sehr zynisch und sarkastisch, so ist eine Debatte eben. Aber ich sage immer: Hey, wenn ihr bessere Wege wisst, Geschlechtergleichberechtigung zu erreichen, dann bin ich ganz Ohr! Ihr hattet alle Chancen der Welt in den letzten vier Jahrzehnten, was hat euch denn abgehalten? In den Niederlanden wollten sie keine bindende Quote, sie hatten eine Zieldefinition. Jetzt stellt sich beim Evaluierungsreport heraus: Das hat überhaupt nichts verändert! Ich finde, jetzt liegt es an ihnen, zu zeigen, warum es keine bindenden Quoten geben sollte.
Ist die Tatsache, dass freiwillige Maßnahmen kein Ergebnis gebracht haben, Ihr einziges Argument? Nun – ja! Ich bin nicht unbedingt eine Verfechterin ungleicher Behandlung. In einer perfekten Welt wäre das nicht nötig, und da wäre ich wildentschlossen dagegen. Aber man sieht hier ein so hartnäckiges Problem. Kommissarin Reding hat ausgerechnet, dass, wenn wir im selben Tempo weitermachen, wir erst im Jahr 2040 so etwas wie 30 Prozent Frauenanteil erreicht haben. Und wir hören ja schon seit 40 Jahren: Nein, nein, das braucht Zeit, wir müssen erst einmal einen Pool an Frauen haben, aus dem wir auswählen können, und nein, das muss spontan passieren – aber wir entwickeln uns einfach nicht weiter.
Die Quote würde also die so genannte leistungsbezogene Auswahl aus dem Weg räumen … Na, es würde ja trotzdem niemand komplette Idioten auf diese Posten holen! Kommissarin Neelie Kroes sagt immer: „Ich bin eine Quotenfrau! Ich wäre nicht hier, wenn die Europäische Kommission sich nicht zu einem Frauenanteil von einem Drittel verpflichtet hätte.“ Man kann viel sagen über Frau Kroes, aber sicher nicht, dass sie inkompetent ist.
Welche Kerneigenschaften braucht man, um als Politikerin etwas zu erreichen? (lacht) Kerneigenschaften? Da gibt es ganz unterschiedliche. Man darf keine Angst vor Streit haben. Man muss sehr wettbewerbsorientiert und ehrgeizig sein. Frauen werden aber nicht zu Kämpferinnen erzogen, sie werden dazu angehalten, Harmonie und Konsens zu suchen. Sie werden nicht dazu erzogen, sich zu messen und zu verlieren. Männer oder kleine Jungen lernen, sich zu messen, und sie gewinnen mal, mal verlieren sie auch. Ich glaube, Frauen sollten lernen, mehr zu kämpfen und eben auch zu verlieren. Manchmal muss man ein Risiko eingehen, dabei holt man sich schon mal eine blutige Nase, aber das ist keine große Sache. Die Politik hat zwei Dimensionen. Eine ist extern, das betrifft den Kontakt mit der Wählerschaft. Die andere liegt intern, sie betrifft den Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Man muss gut kommunizieren können. Für die externe Dimension muss man die Unterschiede und Streitpunkte mit anderen Politikern und politischen Parteien herausstreichen. Für die interne Dimension muss man in der Lage sein, Kompromisse zu machen und mit anderen Politikern Bündnisse einzugehen. Diese beiden sehr unterschiedlichen Dinge erfordern beinahe gegensätzliche Eigenschaften. Gute Politiker sind in beidem stark.
Sind Sie manchmal frustriert von Ihrem Job? (lacht) Ja, oft.
Und was machen Sie dann? Ich trete mich selbst in den Hintern und mache weiter. Es gibt immer noch etwas, das mich antreibt. Frustration ist nicht unbedingt demotivierend. Wenn man über etwas frustriert ist, ist man ja wütend, und wenn man den Drang verspürt, etwas zu verändern, etwas zu erreichen, dann kann Frustration eine sehr mächtige Motivation sein, etwas zu unternehmen.
Was finden Sie schwierig an Ihrer Arbeit? Schwierig? (Pause) Da fällt mir nichts ein.
Das ist schön zu hören! Dann frage ich andersherum: Was mögen Sie daran, als Politikerin zu arbeiten? An erster Stelle sind diese Zeiten faszinierend! Die Leute sind sehr angespannt und gestresst, aber hier wird Geschichte geschrieben, und wir sind ein Teil davon. Vielleicht wird das ganze Projekt zusammenbrechen, aber wir sitzen in der ersten Reihe. Zweitens mag ich es, in einer internationalen Umgebung zu arbeiten. Ich war schon vor meiner Wahl zehn Jahre lang in Brüssel, ich habe erlebt, wie es sich veränderte, vor allem, als 2004 die neuen Länder dazukamen. Ich empfinde es auch als Herausforderung, wie wir etwas aufbauen. In den Mitgliedsstaaten ist schon alles festgelegt worden, sie haben alle ein Sozialversicherungssystem, eine Armee, ein Bildungssystem, ein Rechtssystem, die Grenzen sind bekannt, die Verwaltung steht – das ist alles fertig. Wohingegen Europa ganz neu ist, niemand weiß, wohin wir gehen.
Das klingt aber auch anstrengend. Ja, dazu gehört auch eine Menge Frust, man muss seine Verluste verkraften, und in der Politik sieht man viele hässliche Dinge. Ich werde das nicht für den Rest meines Lebens machen. Ich hoffe, dass ich eine dritte Amtszeit machen kann, wenn ich die Unterstützung der Partei bekomme, doch danach werde ich endgültig etwas anderes machen. Aber eine Abgeordnete im Europaparlament zu sein, besonders zu diesen Zeiten, das ist definitiv ein Highlight.