Ein Jahr lang Konsumauszeit – meine Erfahrungen
Über anderthalb Jahre ist es jetzt schon her, dass mein Jahr des Shopping-Verzichts zuende ging. Ein Jahr, in dem ich vom 20. April 2016 bis zum 20. April 2017 nichts Neues kaufte. Keine Klamotten, keine Kosmetik, keine Gimmicks.
* Ich habe lange nachgedacht, ob ich diesen Text auf diesem Blog veröffentlichen möchte. Denn hier geht es nicht ums Business, nicht um Karriere oder Empowerment. Es ist aber ein wichtiger Teil von mir, der auch dazu geführt hat, dass ich meine Kunden so berate, wie ich sie berate. Daher möchte ich diesen Teil meiner Person nicht verstecken.
Das Resultat: Ich fühlte mich befreit und entspannt.
Wer nie kauf-verliebt war, kann vielleicht gar nicht beurteilen, wie gut sich so etwas anfühlen kann. Als kauf-süchtig hätte ich mich nie bezeichnet, aber es gab doch Zeiten, in denen es mich in die Stadt zog und ich mich angesichts der Fülle an Waren lebendig und irgendwie anders, cool, großstädtisch fühlte. Oft ging dieser Sog auch einher mit wichtigen Entscheidungen oder harten Arbeitstagen oder Auseinandersetzungen mit meiner Chefin.
Freizeitbeschäftigung: Shopping
Dabei ist Shoppen als Freizeitbeschäftigung ein relativ neues Phänomen. Erst mit der Wirtschaftswunderzeit und der wachsenden Globalisierung nahm unser Konsum mehr und mehr zu. Vorher kaufte man Dinge, weil man sie brauchte. Heute shoppt man Sachen wegen des Kauferlebnisses. Meist kaufte ich dann Sachen, von denen ich in diesem Moment meinte, sie unbedingt besitzen zu müssen. Später hingen sie im Schrank oder standen herum (IKEA!). Manche erwiesen sich auch als gute Stücke und wurden lange und gern getragen.
Meine Art der Meditation
Mit der Hinwendung zum Minimalismus änderte sich das. Seit Herbst 2015 bekam ich durch radikales Reduzieren von Gegenständen, aber auch Gewohnheiten oder Beziehungen, immer mehr Klarheit in mein (Berufs-)Leben. Tatsächlich ist es bei mir so, dass ich Aufräumen, Sortieren, Ausmisten als meine Art der Mediation sehe (Danke für den Hinweis, Jesta Phoenix!). Wenn ich konzentriert eine Stelle aufgeräumt und entrümpelt habe, fühle ich mich frei und klar.
Projekt „Minus 1“
Zwei Jahre zuvor hatte ich bereits durch das Projekt „Minus 1“ sehr viele Dinge aus meinem Leben gehen lassen. Jeden Tag durfte mich ein Gegenstand verlassen. Dabei geht es nicht darum, einen komischen Wettbewerb um die wenigsten Dinge mitzumachen. Von 100 oder gar 50 Gegenständen bin ich weit entfernt, das ist auch nicht mein Ziel. Doch die Sachen, die mich umgeben, möchte ich schätzen und mögen.
Mein Shopping-Verzicht: Die Regeln
- 1 Jahr lang gab es keine neuen Sachen: keine Kleidung, keine Gegenstände, keine Elektronik für die Freizeit. Startpunkt war der 20. April 2016, Endpunkt der 20. April 2017.
- Ausnahmen: Ich durfte gebrauchte Gegenstände kaufen, zum Beispiel auf Flohmärkten, im Second-Hand-Laden.
- Ein neues Smartphone war erlaubt, da ich es beruflich nutze und brauche. Der Vertrag lief aus und der Akku des alten Geräts macht zunehmend schlapp.
- Ein neuer, von einer Schreinerin gefertigter, Kleiderschrank war auch erlaubt. Dafür mussten mich allerdings eine Reihe anderer Möbelstücke verlassen.
- Neue Strumpfhosen, da ich diese auch beruflich für meine Kleider brauchte.
- Geschenke waren erlaubt.
Ganz schön viele Ausnahmen! Stimmt. Aber ich fand es so schon schwer genug, vor allem in den Wintermonaten, als es keine Flohmärkte gab.
Das erste halbe Jahr
Am 20. Oktober 2016 war das erste halbe Jahr vorbei. Es stellte sich als nicht so schwer dar, wie ich gedacht hatte. Schließlich gibt es im Sommer regelmäßig Flohmärkte und wir haben im Agnesviertel in Köln mit dem Feuerwachen-Flohmarkt einen sehr schönen<3 Dort fand ich genug Klamotten, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Allerdings wanderte für ein neues Teil auch mindestens ein altes in die Kiste für Altkleider.
Zu wenig Kleidung? Von Mangel keine Spur!
„Hast du denn dann auch genug anzuziehen?“, war eine der Fragen, die mir oft gestellt wurde. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich glaube, es gibt wenig Frauen in Deutschland, die wirklich zu wenig Kleidung haben. Ich hatte zudem vor einiger Zeit angefangen, meine Garderobe als Capsule Wardrobe aufzubauen. Das ist eine Garderobe, bei der man wenige Kleidungsstücke sehr vielfältig kombinieren kann. Grundlage sind drei Hosen mit zwei Blazern sowie ein paar Kleider. Dazu kommen Oberteile wie Blusen oder (langärmlige) T-Shirts sowie natürlich Schuhe und Taschen. Die Basics sind hochwertig aus Wollstoffen und maßgeschneidert. Seitdem stehe ich praktisch nie mehr vor meinem Kleiderschrank und weiß nicht, was ich anziehen soll. (Kennt ihr auch, oder?) Stattdessen erfreue ich mich an jedem Stück!
Mit dem Verzicht fing ich aber auch an, meine Kleidungsstücke anders zu betrachten: Könnte ich diesen Rock nicht mal mit dieser Bluse kombinieren? Wie würden diese Stiefel zu dieser Hose aussehen? Eine Jeans, die ich normalerweise entsorgt hätte, wanderte zur Schneiderin, um noch einmal geflickt zu werden. Ich fing an, die Hemden meines Mannes zu tragen (anderes passt mir leider nicht!).Sehr entspannend fand ich unseren Urlaub in Paris.
Normalerweise hätte ich bei dem Angebot in dem netten Viertel rund um Montmartre hyperventiliert und mein Konto schlimm überreizt. Gleichzeitig wäre ich wahrscheinlich gefrustet gewesen, weil ich einfach eine groß gewachsene deutsche Frau bin und nicht zierlich-klein wie die Französinnen;-( So konnte ich mich einfach an den schönen Sachen erfreuen.
Eine der leichtesten Übungen: Kosmetik
Eine Frage, die häufiger kam: „Und wie machst du es mit deinen Kosmetiksachen?“ In diesem Fall bin ich konsequent: Ich kauf´ nix!
Und da sich Gebrauchtes nicht so anbietet, kommt kaum Neues hinzu. Wobei allein der Zuwachs durch Pröbchen recht hoch war. Diese lehne ich mittlerweile ab, weil es einfach absurd ist, 5g Creme in 3g Aluminium-Plastik-Gemisch zu packen.
Seien wir doch mal ehrlich: Wir lagern teilweise so viele Kosmetikartikel, für die wir Jahre benötigen würden, um sie aufzubrauchen.
- Lippenstifte: Ich hatte noch einige Lippenstifte, die eigentlich leer waren, bis auf den kleinen Rest in der Hülle. Mit einem Pinsel habe ich einen „leeren“ Stift von Dr. Hauschka noch vier Monate lang benutzt. Gerade „arbeite“ ich an den anderen, insgesamt halten die Reste bis heute.
- Eyeliner, Kajal, Rouge: Werde ich wahrscheinlich noch als Oma benutzen können.
- Mascara: Lässt sich leider nicht so lange aufheben, daher wanderten diese zu einer dankbaren Abnehmerin.
- Nagellack: Oft kaufe ich mir neuen Nagellack, weil ich eine Farbe cool finde und einfach mal etwas Neues möchte. Jetzt brauche ich meine alten Lacke konsequent auf. Gegen das Eintrocknen helfen übrigens zwei bis drei Tropfen Nagellackentferner!
- Seifen: Ich habe in meinen Schränken so viel Seife gefunden (wegen der Motten, ihr wisst schon?), der Vorrat wird Jahre reichen.
- Duschgel: Ich benutze viel lieber Seife als Duschgel, da wird der Vorrat auch noch ewig reichen. Duschgel nehme ich eigentlich nur mal im Schwimmbad.
- Hautpflege: Ich habe noch so viele Proben gefunden, die ich jetzt erst einmal aufbrauche, auch wenn es nicht meine liebste Quittencreme ist;-( Mal ehrlich: Wie viel Unterschied stellt ihr zwischen verschiedenen Cremes fest?
Möbel, Accessoires, Getüddel
Als Ausnahme gab es einen neuen Kleiderschrank, der auf Maß gefertigt wurde und nun eine Ecke im Zimmer sehr gut ausnutzt. Das war schon lange ein großer Wunsch von mir. Dafür mussten mein kleiner Shabby-Chic-Kleiderschrank und eine schlichte IKEA-Kommode weichen. Die Freude der neuen Besitzer*innen war das Loslassen wert.
Seitdem ich minimalistisch lebe, habe ich sowieso immer weniger Accessoires. Es gibt aber ein paar Stücke, die mich wirklich erfreuen. Alle anderen habe ich aussortiert und neue kommen nur vom Flohmarkt hinzu. Das ist auch eine gute Lösung. Denn – ehrlich gesagt – wer will so etwas neu kaufen?
Und heute? Zurück auf Anfang!
Mittlerweile liegt das Ende der Auszeit über ein halbes Jahr zurück. Nach dem Ende der Auszeit verfiel ich nicht etwas in einen Kaufrausch, freute mich aber dennoch, mir neue Sachen zu kaufen. Ich merkte aber auch, dass es mich nicht mehr besonders reizt, in alte Gewohnheiten zu verfallen.
- Fast Fashion ist (fast) tabu. Ab und zu kaufe ich auch bei H&M und Zara. Manchmal gibt es Stücke, die ich richtig gut finde – und ich weiß von mir auch, dass ich diese durchaus jahrelang trage.
- Wenn etwas Neues kommt, muss etwas Altes weichen.
- Support your local dealer! Da ich mein lebendiges Nippes (oder eben die einzelnen Veedel) so mag, kaufe ich bei lokalen Händlern. Das macht viel weniger Stress, als in der Innenstadt zu bummeln. Richtig gern mag ich ja Maßgeschneidertes – das ist der pure Luxus!
- Aus zweiter Hand: Ist okay! Immerhin wird dafür nichts weggeschmissen und ein Stück weiter benutzt. Manche Flohmarkt-Stücke gehören eh zu meinen absoluten Lieblingen. Das gleiche gilt übrigens auch für Dekostücke. Auch hier mag ich ja Abwechslung, aber Getüddel von IKEA kommt mir nicht mehr ins Haus. Zum Glück ist der Mann da auch zurückhaltend.
Jetzt bin ich neugierig: Habt ihr auch schon mal Konsumverzicht geübt? Wie konsumiert ihr, was ist euch wichtig?
Buchtipps & Links:
- Die Wienerin Nunu Kaller hat ein Jahr lang Shopping-Diät gemacht und dazu ein sehr lustiges Buch geschrieben: „Ich kauf´nix! Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde„**. Sehr lesenswert ist auch ihr Blog ichkaufnix.com/
- Sehr konsequent und das seit vielen Jahren setzt sich die Künstlerin Andrea Zittel mit unserer Umwelt und dem Gebrauch von Gegenständen auseinander. Eine faszinierende Frau! Schaut mal auf ihrem Instagram-Account @andreazittel. Auf YouTube gibt es ein paar gute Filme über ihre Arbeit, zum Beispiel diesen hier.
**Ja, das ist ein Amazon-Link. Kauft lieber bei eurem lokalen Lieblingsbuchhändler. Wenn ihr online shoppt, gehen ein paar Cent an dieses Projekt. Eure Entscheidung.
PS: Wer übrigens denkt, ich sei anhand der Auswahl an Bikinis oben auf dem Bild schwach geworden. Nein, das war ich nicht;-)