Christiane Brandes-Visbeck berät mit ihrer Agentur „Ahoi Consulting“ Unternehmen zu den Themen Kommunikation und Innovation im digitalen Zeitalter. Ein wichtiger Aspekt ist dabei für die Hamburgerin: Neue Führung. Im Interview spricht sie über ihre sieben Kriterien für Digital Leadership.
Frau Brandes-Visbeck, was verstehen Sie unter genau unter „Digital Leadership“?
Christiane Brandes-Visbeck: Bei diesem Begriff geht es mir um Führung im digitalen Zeitalter. Dabei hilft es, sich folgende Tatsachen vor Augen zu führen: 90 Prozent der Deutschen sind regelmäßig online, 35 Prozent nutzen Social Media-Kanäle. Es gibt mehr Handys in Deutschland als Einwohner, von denen rund 30 Prozent ein Smartphone besitzen. Wir sind privat wie beruflich online und viele von uns setzen sich auch mit den Möglichkeiten der digitalen Welt auseinander.
Doch bei vielen Menschen gibt es große Unterschiede zwischen der privaten und beruflichen Nutzung von digitalen Tools: Privat probieren viele von uns einiges aus – im Beruf werden wir in klassischen Unternehmen eher ausgebremst. Diese setzen aus unterschiedlichen Gründen oft veraltete Tools ein. Der Sicherheitsgedanke spielt eine wichtige Rolle. Aber es gibt zu viele veraltete Systeme, die sich nur schwer modernisieren lassen.
Sie sprechen von den sieben Kriterien für Digital Leadership. Welche sind das denn genau?
Zu den Eigenschaften digitaler Führungskräfte gehören:
- Die Haltung: zuhören, Lernbereitschaft zeigen, sich engagieren, Vertrauen aufbauen und inspirieren.
- Sachlichkeit, nicht immer alles gleich bewerten zu wollen. Oft liegen unbrauchbare und innovative Ideen ganz nah beieinander. Es geht aber auch um das Zulassen von Arbeitsweisen, die bisher als unproduktiv abgestempelt wurden. Wer sich treiben lässt, kommt oft auf gute Ideen. Und das, was klassisch als Faulsein beschreiben wird, befördert Reflexion und damit Innovation. Weil Menschen, die sich das Leben vereinfachen wollen, Shortcuts oder Lösungen ausdenken.
- Keine „Ja, aber“-Mentalität mehr. Wer negativ denkt, hat schon verloren. Digital Leader machen Fehler sehr früh, lernen aus ihnen und sorgen dafür, dass Probleme gesehen und gelöst werden. Es geht hier um das, was man im Englischen mit „constant betatesting“ umschreibt.
- Digital analysieren und handeln. Digital Leader nutzen die Tools der neuen Zeit, mit denen sie schneller produzieren können, sofort Ergebnisse sehen und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglichen. Ein Digital Leader stellt alles jederzeit auf den Prüfstand. Er denkt agil und hat auch kein Problem damit, zurück zu gehen, um einen neuen Weg einzuschlagen (pivot).
- Digital Leader leben „Collaboration“ und „Diversity“. Sie wissen, dass Teams höhere Leistungen erzielen, wenn Menschen mit unterschiedlichem Know-how und unterschiedlichen Hintergründen zusammenarbeiten. Dazu gehört vor allem ein gutes Selbstwertgefühl, denn nur wer an sich glaubt, kann Verschiedenartigkeit ertragen und davon profitieren.
- Ein Digital Leader mag Menschen und kennt sein Team genau. Ein Digital Leader weiß, dass Menschen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen Arbeitskulturen zielgruppenspezifisch angesprochen werden müssen. Generation X (ca. 45 bis 60 Jahre alt) und Menschen, die sehr lange unter denselben Umständen arbeiten, sind nicht ganz so flexibel und offen für Veränderung wie Menschen aus der Generation Y oder Entrepreneure, die ungeduldig sind und unbedingt weiter kommen wollen.
- Eigene Erfolge messen. Der Erfolg einer Führungskraft misst sich natürlich auch weiterhin am Unternehmenserfolg, aber zunehmend mehr auch daran, wie anerkannt er ist – nicht nur bei seinen eigenen Chefs und in der Branche, sondern auch im Team und im sozialen Leben. Hier kommen die Aspekte „Reputationsaufbau“ und „Social Media“ ins Spiel. Wer gemäß der sozialen Währung einen hohen Status hat, dessen Posts in sozialen Medien mit vielen Likes, Shares und Kommentaren geadelt werden, der ist in der heutigen Zeit auch offline erfolgreicher und als Führungskraft besser abgesichert. Das Netz sichert sozusagen seine Relevanz über den aktuellen Job hinaus.
Geht das auch ein bisschen konkreter? Wie ist es zum Beispiel, wenn die verschiedenen Generationen aufeinander treffen? Kommt es dann zum Clash?
Das kann schon mal passieren. Die Einteilung der Arbeitnehmer in Baby Boomer, Generation X, Y und Z soll dabei helfen, die Eigenschaften bestimmter Altersklassen besser zu verstehen. So heißt es beispielsweise, dass die Generation X sich selbst als die Top-Performer verstehen, als super zuverlässig und zu größter Leistungsbereitschaft fähig. Deshalb nennen manche sie auch „Generation Vertrag“. Vertreter der Generation Y betrachten sich als Experten für bestimmte Themen wie Nachhaltigkeit oder sozialer Fortschritt. Ihnen ist die Sinnhaftigkeit ihres Tuns sehr wichtig und dass sie genügend Zeit haben für eigene Projekte.
Die Generation Z (jünger 20 Jahre) soll das Entrepreneur-Gen in sich tragen, sie ist die sognannte „Do-it-Yourself“-Generation. Die Jugendlichen haben kein Problem damit, Neues auszuprobieren und sich mithilfe des Internets selbst beizubringen. Sie sind eben damit groß geworden. Die Generation X denkt erst einmal immer: „Oh, das ist kompliziert, ich muss erstmal die Gebrauchsanweisung lesen.“ Die Generation Y hinterfragt vieles, was an sie herangetragen wird, und überlegt, ob die Aufgabe mit ihren Werten vereinbar ist.
Und die Generation Z ist dann dabei, wenn es ihnen einen Vorteil bringt. Dieses stark vereinfache Selbstverständnis der Generationen, das natürlich nicht für jeden gelten kann, kann in streng hierarchisch aufgestellten Unternehmen schon zu Reibungen führen. So wird Gen Z beispielsweise als unmotiviert, Generation Y als respektlos und Gen X als starrköpfig gebrandmarkt. Das ist nicht hilfreich in einer Zeit, in der wir gemeinsam Änderungen auf den Weg bringen müssen.
Ein Digital Leader weiß um diese Unterschiede und versteht sich und sein Team so zu motivieren, dass sie esdie digitalen Möglichkeiten und Herausforderungen der Zeit annehmen können.
Wie kann das Digital Leadership praktisch funktionieren?
Indem man eher Chancen als Hindernisse sieht. Indem die Führungskraft begreift, dass der Wandel auch demokratisch sein muss. Jeder kann teilhaben und darf nicht ausgeschlossen werden.
Doch eine Führungskraft darf auch mal streng wie ein preußischer General sein, wenn es der Moment erfordert. Aber dieser Great Man Leadership Style ist nur in Zeiten sinnvoll, in denen Krisen zu bewältigen sind. Ein Digital Leader führt Aufgaben-, Situations- und Menschen-orientiert, Zu erkennen, welcher Führungsansatz und welche Skills ich in welchen Situationen anwenden muss – das ist für viele Führungskräfte ungewohnt und neu. Es erfordert von der Führungskraft der Zukunft innere Stabilität äußere Flexibilitätsowie die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. .
Praxistool: Die Digital Leadership Canvas. Wer selbst sehen möchte, wie er aktuell als Führungskraft aufgestellt ist oder was ihn dazu befähigt, seine beruflichen Ziele zu erreichen, kann das mit der von Christiane Brandes-Visbeck entwickelten Digital Leadership Canvas testen:
Christiane Brandes-Visbeck, M.A., ist Journalistin, Führungskräfte- und Kommunikationsberaterin. Ihre Expertisen liegen in Digital Leadership, Strategischer Kommunikation und Modern Human Resources. Als Executive Producer hat sie ein junges TV-Magazin geleitet, als Online-Chefredakteurin zukunftsorientierte Contentformate entwickelt und in einer größeren Genossenschaftsbank als Bereichsleiterin Personal und Kommunikation mit zeitgemäßer Kommunikation, neuen Arbeitsformen und Führungsansätzen experimentiert.
Christiane Brandes-Visbeck berät seit gut zehn Jahren mit ihrer Hamburger Agentur Ahoi Consulting Unternehmen und Organisationen und gibt ihr Wissen an Hochschulen und der Akademie für Publizistik weiter. In ihrer Freizeit betreut sie das Projekt JobDigga und ist bei den Digital Media Women als Blogredakteurin, Autorin und Quartiersleiterin Hamburg aktiv.
Bild: stpe/photocase.de