Monica Wertheim: „Gut ausgebildeten Ingenieurinnen liegt heute die Welt zu Füßen.“

Monica Wertheim übertreibt: Sie sagt, sie braucht zehn Sätze, wo Deutsche nur einen brauchen. Doch sie hat sich das Temperament ihrer argentinischen Herkunft bewahrt. Mit Leidenschaft erklärt die Leiterin der Abteilung Global Employer Brand/Strategic Recruiting bei E.ON, wie Arbeitgeber sich um Spitzenkräfte bemühen – und wie junge Frauen das für sich nutzen können.

Bild: Schlüter Fotografie

Frau Wertheim, was ist eigentlich Employer Branding?

Monica Wertheim: Wörtlich übersetzt geht es dabei um eine Arbeitgebermarke, aber in der Praxis geht es um weit mehr: Wie stellt sich das Unternehmen dar, und zwar sowohl nach innen als auch nach außen, um als Arbeitgeber erster Güte authentisch zu sein und die besten Talente zu gewinnen und auch zu halten? Employer Branding ist die DNA des Unternehmens.

Gibt es auch etwas, das auf den ersten Blick nach einer tollen Idee für Employer Branding aussieht, in der Praxis aber gar nicht funktioniert?

Employer Branding funktioniert nicht nach dem Motto: „Wir machen mal schnell eine Kampagne“, um irgendwo Aufmerksamkeit zu erhaschen. Authentizität ist das A und O der Arbeitgebermarke. Wir stellen uns so dar, wie wir sind. Wenn Sie es anders machen, haben Sie das Problem, dass Sie intern nicht glaubwürdig sind und extern eventuell einen tollen Kandidaten gewinnen, der aber nach sechs Monaten wieder weg ist.

Arbeiten Sie bei der Suche für Top-Positionen auch mit Headhuntern?

Ja. Ich bin ja nicht nur für Employer Branding zuständig, sondern auch für strategisches Recruiting verantwortlich. Da beschäftigen wir uns nicht nur mit Zielgruppen und deren Erwartungen, sondern auch damit, über welche Kanäle wir sie ansprechen. Auf dem externen Arbeitsmarkt gehören Recruiting Agencys dazu, aber auch Jobportale, Social Media und so weiter.

Wofür setzen Sie Social Media ein – und wie?

Man muss sich zuerst einmal klar sein: Wofür benutze ich welchen Kanal? Wenn ich direkt Kandidaten rekrutieren will, gehe ich über Kanäle wie zum Beispiel LinkedIn, Xing oder windindustriejobs.com. Dort kann ich CVs durchgehen und interessante Kandidaten ansprechen. Als Arbeitgeber ist es aber auch enorm wichtig, sich für den Dialog zu öffnen und Fragen zu beantworten. Zu diesem Zweck werden wir in Deutschland dieses Jahr mit Facebook beginnen, wir sind dort bereits in Ungarn, Großbritannien und Schweden. Dabei ist es das Beste, wenn die eigenen Leute zukünftige Kollegen ansprechen. Wir haben zum Beispiel ein Trainee-Programm, und viele der Trainees stehen Interessenten gern Rede und Antwort zum Arbeitsalltag, zu Projekten und so fort.

Muss man da aufpassen, dass sich das nicht kreuzt mit dem Verbot, Betriebsgeheimnisse zu verraten?

Wir sind der Auffassung: Sie können die gelebte Realität eh nicht verstecken. Und das ist auch gut so. Sie brauchen natürlich eine Social Media-Guideline, um den Leuten eine gewisse Sicherheit zu geben. Formeln, Preise oder Details über Turbinen dürfen beispielsweise auf Facebook nicht preisgegeben werden. Dass man Betriebsgeheimnisse nicht weitergeben darf, steht aber ohnehin in jedem Arbeitsvertrag, das sollte man nicht nur auf Facebook unterlassen. Dort fragen die Leute aber auch gar nicht danach. Sie wollen in erster Linie wissen: Wie hast du dich beworben, wo bist du denn eingesetzt, reist du viel, wie ist die Weiterbildung?

Gibt es einen Unterschied zwischen Rekrutieren und in der Firma halten?

Oh ja. Wie in allen Unternehmen haben wir mehrere Generationen an Bord: Veterans, Baby Boomer, X, Y. Unsere Mitarbeiter sind im Durchschnitt Mitte 40, aber wir rekrutieren überwiegend jüngere Leute aus den Generationen Y und X. Die Kommunikationswege, die Ansprache und das, was den Leuten wichtig ist, fallen aber je nach Generation unterschiedlich aus.

Die Leserinnen von Business Ladys gehören zur Generation Y. Was erwarten diese Frauen Ihrer Erfahrung nach von Arbeitgebern?

Den Kandidatinnen aus Deutschland ist ganz wichtig: Sie wollen sich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden müssen. Nicht dass sie grundsätzlich alle schwanger werden wollen. Sie wollen nur sicherstellen, dass es auch in unserem Unternehmen Möglichkeiten gibt, Karriere und Familie zu vereinbaren, wie auch immer Familie erklärt wird. Manche pflegen etwa später ihre Eltern. Die zweite oft gestellte Frage ist: Haben Sie tolle Ingenieurinnen, mit denen ich mich mal unterhalten könnte?

Ist es denn einfacher, als Frau Frauen für ein Unternehmen zu interessieren? 

Das tun auch meine männlichen Kollegen. Bei mir landen diese Fragen oft, vielleicht, weil ich selbst eine Frau bin. Ich bin aber keine Y, ich bin Jahrgang 1963 und damit ein klassischer Babyboomer. Aber ich kann die Mädels gut verstehen. Gut ausgebildeten Ingenieurinnen liegt heute die Welt zu Füßen, die Unternehmen stehen bei ihnen Schlange. Sie können sich den Job aussuchen und kennen ihren Wert ganz genau. Insofern prüfen sie jedes Unternehmen auf Herz und Nieren: Passt es zu mir? Die Generation Y versteht Karriere anders als Babyboomer. Ihr geht es nicht um Titel oder Benefits, sondern darum: Was kann ich tun, wie kann ich mich entwickeln, welche Möglichkeiten habe ich dort?

Wenn Sie international vergleichen: Was machen deutsche Frauen auf Ihrem Karriereweg anders?

Es ist ein Wandel spürbar, der mir persönlich aber noch sehr langsam vorkommt. Viele der heutigen Führungskräfte, die jetzt 40 Jahre oder älter sind, sind noch alte Schule: Sie tun ihren Job super, ihnen fehlt aber der letzte Kick, sich in die vorderste Reihe vorzudrängeln. Zum Beispiel wird über ein Projekt gesprochen, mit dem die nächste Karrierestufe vorprogrammiert ist. Eine Frau überlegt mindestens zwei Wochen lang: Kann ich das, kann ich das nicht? Die Jungs, die den Job vielleicht nur zu 60 Prozent könnnen, heben da schon längst die Hand und sagen: Ich mach das. Ich glaube aber, in erster Linie hat man Erfolg, wenn man an seine Stärken glaubt und auch den Mut hat, sie mal zu zeigen. Und die junge Generation ist frecher. Ich meine damit nicht, sie haben nichts in der Birne, reißen aber die Klappe auf. Nein: Sie haben etwas in der Birne, und sie machen die Klappe auf.

Apropos junge Generation: Von welchem Beruf haben Sie als Kind geträumt?

Sie werden lachen: Als Kind wollte ich Pferde züchten und Veterinärmedizin studieren. Ich bin auf einer Farm großgeworden, insofern liegt das nicht so fern. Aber weil ich kein Blut sehen kann, habe ich es dann doch nicht getan. Als Arzt wäre ich völlig ungeeignet, ich könnte weder eine Spritze noch notfalls den Gnadenschuss geben.

Stattdessen haben Sie in der Wirtschaft Karriere gemacht. Was hat Sie dabei weitergebracht?

Ich hatte schon immer den Anspruch, sehr gut zu sein in dem, was ich tue. Gleichzeitig habe ich schon in jungen Jahren erkannt: Das musst du aber auch zeigen, du darfst dich nicht verstecken. Du musst auch mal den Mut haben, dass etwas in die Grütze geht, und dann musst du die Verantwortung dafür tragen, wenn etwas nicht läuft. Und wenn Sie erst einmal auf einem gewissen Niveau sind, haben Sie eine bestimmte Reputation. Was Sie können, haben Sie mit ihren Erfolgen schwarz auf weiß bewiesen. Dazu muss ich sagen, ich komme nicht aus HR, ich habe mein Leben lang in Vertrieb und Marketing gearbeitet. Und ob Sie verkaufen können oder nicht, zeigt sich dort am Ende jedes Monats mit vollen Auftragsbüchern oder einer halben Katastrophe.

Gab es in Ihrer Karriere auch mal einen Punkt, an dem Sie dachten: Das ist eine Sackgasse, hier komme ich nicht weiter? 

Ja, deswegen habe ich jeweils gewechselt. Ich war in drei Unternehmen. In der Chemie kam ich nicht weiter, weil dort zu dem Zeitpunkt „frech“ auftretende Frauen nicht gut ankamen. Danach, in einer mittelgroßen Firma mit 300 Leuten im Agrarbereich, hatte ich nach zehn Jahren alles gesehen und gemacht. In der Chemie war es meine persönliche Entwicklung, im Agrarbereich ging das Unternehmen in eine Richtung, die ich nur in gewissem Rahmen verändern konnte. Doch ich verändere gerne Sachen zum Positiven, und ich möchte einen Mehrwert hinterlassen. Deswegen bin ich zu Eon gegangen. Da ist diese Perspektive im Fachlichen gegeben. In einem gewissen Alter streben Sie nicht mehr eine Karriere nur um der Karriere willen an. Ich bin stärker themenmotiviert.

Finden Sie in Ihrer Arbeit manchmal etwas, von dem Sie sagen würden: Ach, das ist ganz typisch für eine Frau in einer Führungsposition?

Ja, dieses letzte Zucken. Da ist ein großes Meeting mit vielen Herren und wenigen Damen, und eine Frau bringt ein Sachargument zum falschen Zeitpunkt. Am Schluss ärgert man sich, dass das, was man als Frau vorgeschlagen hat, zwar tatsächlich genommen wurde, aber es ist von einem der Kollegen dargestellt worden. Man könnte das auch „mit fremden Federn schmücken“ nennen. Und da stellt man fest: Mensch, hättest du diesen Satz anders oder zu einem anderen Zeitpunkt gesagt, hättest du dich anders positionieren können. Das ist mir auch ein paar Mal passiert. Das ist nicht schlimm, aber es ist gut, wenn man sich immer wieder vor Augen führt: Das nächste Mal muss ich das ein bisschen besser machen.

Welche Vorstellung darüber, wie Frauen in Führungspositionen sind und was sie können oder nicht können, hängt Ihnen so richtig zum Halse heraus?

Wenn Sie irgendwo neu sind als Frau in Führungsposition, zu Ihrem Umfeld befragt werden und sagen, Sie haben ein Kind, dann kommt immer die Frage: Und wer kümmert sich um das Kind? Das würde niemand einen männlichen Kollegen fragen. Das hängt mir zum Hals raus.

Ich traue mich trotzdem, noch etwas zu Ihrem Sohn zu fragen …

Ja, wer passt auf das Kind auf? (lacht)

Nein. Viele weibliche Führungskräfte mit Kindern haben ein Ritual mit den Kindern oder einen Punkt, an dem die Familie vorgeht. Haben Sie auch so etwas?

Ja! Zuerst kommt meine Familie und dann das Unternehmen. Ich hatte aber nie ein Problem damit, das zu balancieren. Manche Leute glauben, nur wenn sie 12 Stunden mit ihrem Kind verbringen, ist das Kind glücklich oder sind sie es selbst. Das war bei mir nie der Fall. Ich glaube, wenn die Liebe da ist und ein ganz klares Gefühl der Verantwortlichkeit, dann ist es keine Frage der Stunden, die man miteinander verbringt, sondern wie intensiv man das lebt. Auf die Frage „Was würden Sie auf eine Insel mitnehmen?“ antworte ich ganz klar: die Familie. An zweiter Stelle kommt aber schon mein Unternehmen. Danach kommen meine Freunde, und dann kommt der FC Bayern.

Und einen Hund haben Sie auch.

Ich habe sogar zwei, aber die gehören zur Familie. Ich habe die vier F: Familie, Firma, Freunde, FC Bayern. In dieser Reihenfolge.

Monica Wertheim (Jahrgang 1963) leitet seit 2007 als Vice President die Abteilung Global Employer Brand/Strategic Recruiting bei E.ON. Für den Energiekonzern hat sie seither jedes Jahr Preise wie „Great Place to Work“ und „Best Recruiter“ eingeheimst. Zuvor arbeitete die Wirtschaftswissenschaftlerin nicht im Personalwesen, sondern im strategischen Marketing und im Vertrieb – und anderen Branchen, nämlich jeweils in einem Chemie- und Agrar-Unternehmen. Wertheim lebt in Essen und hat einen Sohn.

Bild: Schlüter Fotografie

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