Gender dir einen!

„"Früher hab ich mir gar keine Birne darüber gemacht, ob Sprache beiden Geschlechtern (oder gar noch mehr) gerecht wird. Das Binnen-I, das mir gelegentlich begegnete, hielt ich für eine Marotte irgendwelcher Spinner. -Innen.

Bild: antifalten/photocase.de

In meiner Jugend im Osten haben wir sogar ziemlich konsequent männliche Formen benutzt: Frau Steinberg war mein Geschichtslehrer. An der Praxis meiner Hausärztin prangte ein Praxisschild mit der Aufschrift „Dipl.-Med. und Sportarzt“. Eine Freundin machte eine Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann. Niemand dachte sich etwas dabei. Auch ich nicht. Ich dachte damals sogar, wir wären besonders schlau, weil wir uns – anders als die verrückten Westler*innen – gar nicht erst den Kuddelmuddel mit der weiblichen Form antaten. Aber eigentlich machte sich, wie gesagt, keiner Gedanken darüber.

Ich schrieb also vor mich hin, wie mir der Schnabel gewachsen war und schiss auf die weibliche Form. Manchmal bekam ich ein schlechtes Gewissen. Dann fügte ich was à la „Frauen sind mitgemeint“ unter meine Blogbeiträge. Bis ich den Auftrag bekam, Wahlprogramme der GRÜNEN zu lektorieren.

Deren Ideen Wort für Wort durchzuarbeiten, hat meinen Blick auf die Welt sowieso völlig verändert: auf mein eigenes Leben und dessen ökologische Kosten, mein Verhältnis zur Natur, aber eben auch auf Geschlechtergerechtigkeit. Teil meines Auftrags war es nämlich, dafür zu sorgen, dass alle Personenbezeichnungen in dem mehrere hundert Seiten starken Dokument ein „*innen“ trugen. Na schön, dachte ich mir. Dann mal los.

Die meisten Bezeichnungen waren natürlich bereits gegendert, aber ein paar hatten die Verfasser*innen ???? übersehen. Und während ich mich also durch den Text pflügte, begegneten mir Verbraucher*innen und Steuerzahler*innen, aber auch Bäuer*innen, Ranger*innen, Wolfsberater*innen und sogar Bürger*innenämter. (Really? Ja, DIE GRÜNEN sind da sehr konsequent.)

Ich spürte Widerstände: Sozialarbeiter*innen – okay. Bei anderen Bezeichnungen zuckte ich jedoch zusammen: Angler*innen? Jäger*innen? Imker*innen? Das kam mir merkwürdig unpassend vor. Wie viele dieser Bienenfreaks sind überhaupt weiblich? (Laut Deutschem Imkerbund sind es mittlerweile knapp 19 Prozent, in den Großstädten teils über 30 Prozent. Tendenz steigend.) Auch Täter*innen tauchten im Text auf. Wie viele von ihnen sind Frauen?

Das Verrückte war also: Während meiner Arbeit an dem Text begann ich, mir Fragen zu stellen. Zum Beispiel eben nach dem Frauenanteil. Meine Wahrnehmung begann, sich zu verändern. Mir schwante, dass an der locker dahingesagten Aussage „Frauen sind mitgemeint“ nichts dran war. Denn oft sind sie eben nicht mitgemeint. Und wenn doch – woher wissen sie das?

Ich begann, das Gendern theoretisch gut und sinnvoll zu finden. Es anzuwenden, fiel mir jedoch schwer. Unpraktisch, stört den Lesefluss, sieht doof aus.

Ist gegenderte Sprache schön? Nö.

Aber irgendwann fiel mir auf: Nicht gegenderte Sprache ist auch nicht schön.
Ich finde Schlagzeilen wie „Berlin sucht Richter“ problematisch, denn sie ignorieren die Hälfte der Bevölkerung. Sucht das Land nur Richter (vielleicht muss ja die Männerquote erfüllt werden) – oder eventuell auch Richterinnen? Es bleibt unklar. Wenn man also als Organisation Frauen ansprechen möchte, sollte man sie ansprechen.

Mal sind Frauen mitgemeint, mal auch nicht. Wie wenig das „Mitmeinen“ funktioniert, lässt sich daran ablesen, dass für die drei (!) männlichen Hebammen Deutschlands extra eine eigene Berufsbezeichnung geschaffen wurde: den Entbindungspfleger. Es ist nämlich einem Mann nicht zuzumuten, weiblich bezeichnet zu werden. Ach, aber umgekehrt schon?!

Spätestens seit ich vom Gender Bias erfahren habe – also der unbewussten Verzerrung zum Männlichen als dem Standard, dem Normalen in unserer Gesellschaft –, ist mir bewusst: Sprache kann diese Verzerrung stärken oder schwächen, vor allem aber kann sie darauf aufmerksam machen.

Nun ist die deutsche Grammatik nicht wirklich dafür gemacht, immer beide (oder noch mehr) Geschlechter zu repräsentieren. Es gibt aber eine Menge Tricks und Vorschläge für Alternativen, u. a. in dem sehr schlauen Buch „Richtig gendern“ aus dem Duden-Verlag.

Ich bin mittlerweile soweit, dass ich selbst für Auftraggeber*innen meines Textbüros kaum noch ungegendert schreiben kann. Es fühlt sich falsch an. Bei einigen habe ich angefangen, zumindest beide Formen („Kolleginnen und Kollegen“) zu verwenden. Und siehe da: Sie haben es übernommen. Vielleicht haben sie einfach gemerkt, dass es sich besser anfühlt.

Ich weiß jetzt, warum geschlechtergerechte Sprache so gehasst wird: weil sie gefährlich ist.

Naja, ich gendere immer noch nicht konsequent. Es ist kompliziert und oft gibt es keine perfekten Lösungen. Manchmal habe ich auch keine Lust und will den Text einfach laufen lassen. Aber für mich ist das die Zukunft. Ich weiß jetzt, warum geschlechtergerechte Sprache so gehasst wird: weil sie gefährlich ist. Sie verändert die Wahrnehmung, sie wirft Fragen auf und sie macht das bislang Verborgene sichtbar: eine männlich dominierte Welt. Dass diese Art von Sprache hässlich ist, ist nur vorgeschoben.

Was wir als schön empfinden und was nicht, entscheiden wir selbst – als Leser*innen und Autor*innen. Und das verändert sich. Heutzutage würde ein junges Mädchen es wohl merkwürdig finden, eine Ausbildung zum BürokaufMANN angeboten zu bekommen, obwohl das für uns in der DDR der 80er Jahre ganz normal war. Wir haben gegrinst und uns gewundert über die westdeutsche BürokaufFRAU. Heute geht uns das Wort selbstverständlich über die Lippen.

Vorhin las ich die Broschüre einer Uni. Der Fachbereich stellte seine Lehrkräfte vor. Sechs von 15 sind weiblich. (Ja, ich zähle sowas nach. Ich kann nicht mehr aufhören zu zählen. Ich frage mich, warum ich all die Jahre nie gezählt habe.)

Über der Doppelseite mit den Fotos prangte in fetten Lettern:

PROFESSOREN

Ich kann nicht mehr anders, als das komisch und altbacken zu finden. Noch ein paar Jahre und Lektor*innen werden das ganz offiziell anstreichen als das, was es ist: ein Fehler.

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