
Er markiert nahezu jedes Ende eines erfolgreichen Bewerbungs- oder Auswahlprozesses: der Arbeitsvertrag. Zu Beginn der Karriere wird ihm meist noch wenig Beachtung beigemessen. Je höher die Position, desto wichtiger wird es aber, ihm viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die wichtigste Devise für jeden Bewerbungs- und Auswahlprozess lautet: Vorher herausbekommen, was einen nachher erwartet! Ein Fehlgriff kann gerade auf C-Level-, Bereichsleiter:innen- oder Director-Ebene ein echter Karrierekiller sein. Denn auch der Arbeitsvertrag kann Hinweise, manchmal sogar die entscheidende Antwort auf die essenzielle Frage liefern: Passe ich zu diesem Unternehmen?
Das sagt ein Arbeitsvertrag über die Unternehmenskultur
Viele Verträge und ihre Klauseln zeigen – wenn man sie nur genau liest und bewertet – wie das Unternehmen, seine Kultur, ja seine Werte einzuschätzen sind. Dies setzt kein juristisches Fachwissen voraus, allerdings viel Erfahrung mit Unternehmer:innen, Gesellschafter:innen, Unternehmenskulturen, Führungsstilen, Unternehmensphasen und mit den typischen Charakteristiken der verschiedenen Unternehmenseigentümer:innen und -phasen von Startups bis zum Marktführer, vom Konzern bis zum Family Office.
Man kann einen Vertrag interpretieren – so wie man einen Grundriss betrachtet und die dahinterstehende Idee, die Struktur und das Leitmotiv versteht.
Ausgewogen oder einseitig-restriktiv?
Einen Vertrag kann man lesen und durcharbeiten. Man kann ihn aber auch interpretieren – so wie man einen Grundriss betrachtet und die dahinterstehende Idee, die Struktur und das Leitmotiv versteht. Wir haben für unsere Klient:innen schon Entwürfe gelesen, die eine reine Freude waren, so ausgewogen und fair waren sie, ja geradezu wertschätzend gegenüber der neu einzustellenden Führungskraft. Der Ton macht die Musik – was überall gilt, warum sollte es nicht auch für vermeintlich trockene juristische Texte gelten? Mit etwas gutem Willen ist es möglich, juristisch klar, sauber und rechtssicher zu formulieren und dennoch einen wohlwollenden und würdigenden Ton anzuschlagen. Viele der gelesenen Verträge erfüllen dieses Kriterium und berücksichtigen dennoch die wichtigen Interessen des Unternehmens. Dass das möglich ist, ist aber noch nicht bis zu jedem Unternehmen durchgedrungen. Du solltest also nicht vorschnell allzu harte Urteile fällen, wenn dir der Vertragsentwurf nicht zusagt.
Vertragshistorie beachten
In manchen Verträgen springt ins Auge, dass ein einzelner Abschnitt, beispielsweise der zu den Arbeitnehmererfindungen, ganz ungewöhnlich viel Raum einnimmt, der mit dem Geschäftszweck des Unternehmens allein nicht zu erklären ist. Oft fällt dann nicht nur der Umfang auf, sondern auch die niedrige Abstraktionsebene der Klauseln in diesem Abschnitt: Er ist dann noch auffallend konkret, detailliert, ja kleinteilig. Dann kannst du davon ausgehen, dass dem Unternehmen Unerfreuliches widerfahren ist, es womöglich in Rechtsstreitigkeiten unterlag. Um künftig solche Unbill auszuschließen, wurde der ein oder andere Passus zusätzlich eingefügt. Manch ein Vertrag wuchert dann regelrecht. Eine gewisse Vorsicht ist trotzdem geboten. Natürlich ist dies kein K.-o.-Kriterium, aber ein zu prüfendes Warnsignal. Aus einem anfangs klaren, gut durchstrukturierten und in sich ausgewogenen Vertrag wurde so einer, der in Teilen die Unternehmenshistorie freilegt. Komisch wirkt das allerdings, wenn ein die Arbeitnehmererfindungen im Übermaß regelnder Vertrag auch dem CFO oder kaufmännischen Geschäftsführer vorgelegt wird.
Die eigentliche Vertragsverhandlung
Auf das Vertragsgestaltungsrecht und ob du einen ausgewogenen oder einen einseitig-restriktiven Vertrag vorgelegt bekommst, hast du keinen Einfluss – ebenso wenig wie auf die Vertragshistorie. Insoweit ist es wie bei einer Ausschreibung. Die Spielregeln kannst du nicht verändern. Du kannst mitspielen oder es bleiben lassen und dir ein anderes Unternehmen suchen, weil dieses nicht zu dir passt.
Modifiziere, wo nötig, denn der Vertrag definiert die Spielregeln für die nächsten Jahre.
Anderes gilt für die Vertragsverhandlung. Modifiziere, wo nötig, denn der Vertrag definiert die Spielregeln für die nächsten Jahre. Du befindest dich in der Schlussphase des Einstellungsprozesses und die eigentliche Vertragsverhandlung kann beginnen.
Vertragsinhalte
Wichtige Inhalte wie etwa Verantwortungsumfang, Funktionsbezeichnung, Vertretungsmacht, Berichtslinie und erst recht Gehaltshöhe und Nebenleistungen wie ein Dienstwagen wurden in aller Regel schon entlang des CEO-Auswahlprozesses an mehr oder weniger passenden Stellen angesprochen oder bereits vereinbart. Oft wird so vorläufig festgelegt, was sich später im Vertragstext wiederfinden sollte, zumindest kann der Anschein entstanden sein, man habe sich bereits hierauf geeinigt.
Missverständnisse bezüglich des Verantwortungsumfangs oder der Gehaltshöhe offenbaren sich aber nicht selten erst auf den letzten Metern. Manchmal herrscht darüber ein wirklicher Dissens, der bis dahin nicht erkannt wurde. Bisweilen wird bewusst eine niedrigere Summe in den Entwurf geschrieben und wenigstens diese Abweichung in der Begleit-E-Mail noch angekündigt und meist irgendwie begründet. Manchmal – und dann wird es kritisch – bestätigt sich der Verdacht, dass ohne Abstimmung das Gehalt einfach sang- und klanglos herabgesetzt wird. Dann gilt es auszuloten, ob noch Spielraum besteht und wenn ja, diesen zu nutzen.
Auf der Zielgeraden
Nun biegt der Prozess vom einseitig gesteckten Rahmen in die Zielgerade ein: Es wird konkret und endgültig festgeschrieben, woran sich beide Seiten die nächsten Jahre über zu halten haben. An dieser Stelle lässt sich noch einmal einiges gewinnen oder verlieren, bezüglich der Leistungen und Vergütungen, an Gestaltungsfreiheit oder -beschränkungen, hinsichtlich deiner persönlichen Verpflichtungen und Haftungsrisiken. Denn all das regelt eine Vielzahl von Klauseln und natürlich die Anlagen zum Vertrag wie Geschäftsordnung (vorgelegt meist nur bei Geschäftsführungsverträgen), Code of Conduct, die Fuhrparkordnung und so weiter. Viel Konkretes wird nun vereinbart, gleichviel, ob es zur Verhandlungsmasse zählt oder nicht. Das bindet dich oder gewährt dir Vorteile. Behalte also unbedingt den Überblick. Nicht nur, dass sich die Rahmenbedingungen fast zwangsläufig jahrelang im Guten wie im Schlechten auf dich auswirken werden, manche berühren sogar dein unmittelbares persönliches Umfeld, meist also dein:e Ehepartner:in und gegebenenfalls eure Kinder. Vorsicht zum Beispiel bei Klauseln, die festschreiben, dass du deinen Wohnsitz an den Sitz des Unternehmens zu verlegen hast. Die wenigen Unternehmen, die solche Regeln arbeitsvertraglich treffen, nehmen dies in aller Regel sehr ernst. Du gehst ein Risiko ein, wenn du darauf vertraust, dass niemand darauf bestehen wird, wenn du erst einmal im Unternehmen arbeitest.
Dort, wo strenge Hierarchien und eher autoritäres Verhalten anzutreffen sind, kannst du nicht erwarten, selbst große persönliche Freiheit oder Gestaltungsspielräume zu erhalten.
Gestaltungsspielraum
Wenn dir Gestaltungsfreiheit wichtig ist, achte auf die Unternehmens- und Führungskultur deines möglichen nächsten Unternehmens. Dort, wo strenge Hierarchien und eher autoritäres Verhalten anzutreffen sind, kannst du nicht erwarten, selbst große persönliche Freiheit oder Gestaltungsspielräume zu erhalten. Die reale Unternehmens- und Führungskultur – indiziert durch das Auftreten während des gesamten Prozesses – zeigt dir heute schon, was von dir später erwartet werden wird. Sei dir also vor Vertragsunterschrift darüber im Klaren, dass genauso, wie mit dir – im Guten wie im Schlechten – während des C-Level-Auswahlverfahrens umgegangen wird, dein späterer Führungsstil und Gestaltungsspielraum aussieht.
Ob du dich mit deinem Ansinnen durchsetzen wirst oder nicht, ist wie so oft eine Frage der Machtverhältnisse und der Stärke des Wunsches der entscheidenden Unternehmensvertreter:innen, dich an Bord zu holen – und zumeist weniger eine Frage deines Verhandlungsgeschicks.
Warum es sich lohnt, immer mehrere Angebote zu haben und warum man dafür schon beim Bewerbungsprozess umdenken muss
Trotz des Mangels an wirklich geeigneten Führungskräften sind die Machtverhältnisse bei Bewerbungs- und Auswahlprozessen häufig noch klar verteilt und liegen einseitig bei den Unternehmen. Eine souveräne Karrieregestaltung und eine starke Verhandlungsposition setzen daher voraus, dass du mehrere Optionen zur Auswahl hast. Das gelingt mit herkömmlichen Karrieremethoden allerdings selten und wenn, geht es über zwei Alternativen, die sich zur selben Zeit eröffnen, fast nie hinaus.
Das führt dazu, dass beispielsweise manche Manager:innen Vertragsangebote akzeptieren, die lediglich in Aussicht stellen, auf der gewünschten Hierarchieebene zu arbeiten. Sie enthalten dann unbestimmte Klauseln wie „erst nach einer Zeit der Einarbeitung“ oder „so bald unternehmensintern die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen sind“. Die nächste Hierarchieebene sollte am ersten Tag im neuen Unternehmen eingenommen werden – nicht erst aufgrund mündlicher Versprechungen oder vertraglicher Absichtserklärungen sechs oder zwölf Monate nach dem Start.
Sprich aktiv deine Zielgruppe an, statt auf vereinzelte Vakanzen zu warten, damit du die Auswahl hast.
Den Markt selbst aktiv bearbeiten
Jeder Vertriebschef, jede gesamtverantwortliche Geschäftsführerin oder Vorstand, jeder Einkäufer beim strategischen, selbst beim operativen Einkauf denkt in Zielgruppen. Nur bei sich selbst vergessen sie diese Denk- und Vorgehensweise häufig. Auch jede Personalchefin denkt in Zielgruppen, wenn sie aufgrund einer definierten Job-Description Mitarbeiter:innen rekrutiert – und erwartet Auswahlmöglichkeiten. Mache dir das zunutze und sprich aktiv deine Zielgruppe an, statt auf vereinzelte Vakanzen zu warten, damit du die Auswahl hast und dich am Ende nicht in einer schlechteren Verhandlungsposition wiederfindest.
Buchtipps

Die CEO-Bewerbung: Karrierebeschleunigung ohne Netzwerk und Headhunter
Jürgen Nebel, Nane Nebel | 223 Seiten
© 2022 Campus Verlag

Die CEO-Auswahl: Die drei Hürden zur neuen Verantwortung und wie Sie diese meistern
Jürgen Nebel, Nane Nebel | 263 Seiten
© 2020 Campus Verlag

Über Nane Nebel & Dr. Jürgen Nebel
Nane Nebel ist Karriereberaterin und -coach mit umfassender Praxiserfahrung als Inhouse-Consultant eines DAX-Konzerns und in verschiedenen operativen Führungsfunktionen. Sie unterstützt Führungskräfte bei der beruflichen Neuorientierung. Zudem schreibt sie Blogbeiträge zu Karriere und Bewerbung von Führungskräften als Xing-Branchen-Insider.
Dr. Jürgen Nebel war unter anderem Geschäftsführer eines Konzerntochterunternehmens und Headhunter für eine international führende Executive-Search-Beratung. Er ist heute als Karriere-Berater, Karriere-Coach und Rechtsanwalt auf das Newplacement oberer Führungskräfte spezialisiert.