[Ein Gastbeitrag von Dr. Monika Hein.] Immer wieder diskutieren wir darüber, ob überhaupt oder wie viele Gefühle und Emotionen wir im Job zeigen sollten. Welche Haltung man dazu auch hat: Fakt ist, dass zigmal am Tag im Umgang mit Menschen Befindlichkeiten aufblitzen. Im Privatleben, in Unternehmen, in der Erziehung, unter Freunden oder in der Politik.
Ohne diese Emotionen geht’s nicht. Das kann in größeren, öffentlichen Situationen oder bei emotionalen und wichtigen Vorgängen passieren. Aber es betrifft auch ganz kleine, private und berufliche, scheinbar unwichtige Momente. In ihrer Gesamtheit wiegen sie viel und lösen letztlich etwas aus, das uns das (Arbeits-)Leben schwerer oder leichter macht.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns gut in unser Gegenüber einfühlen können. Denn Empathie ist leider heute oft Mangelware – im Business und im Privatleben. Aber worüber genau sprechen wir, wenn wir dieses große Wort in den Mund nehmen?
Nicht nur die eigene Perspektive sehen
Empathisch zu sein heißt nicht, der Kummerkasten der Nation zu sein. Es heißt auch nicht, immer alles und jeden zu verstehen. Als Empathie bezeichnet man die Bereitschaft, Dinge auch anders zu betrachten, als nur aus der eigenen Perspektive. Empathie lässt uns förmlich in die Schuhe anderer schlüpfen und erlaubt es uns, den Blick auf die Welt ein wenig zu erweitern – das ist essenziell für ein gutes Miteinander. Scheuklappen und ausgeprägte Egozentrik kennen wir schon zu Genüge. Die bringen uns aber im Zwischenmenschlichen nicht weiter. Also besser den Empathiemuskel trainieren, wann immer wir die Gelegenheit dazu haben.
Mikro-Empathie im Unternehmen
Schauen wir uns einmal eine „kleine“ Situation im Business-Kontext an, in der wir üben und Mikro-Empathie leben können, um es uns und anderen leichter zu machen:
Die Assistentin der Geschäftsleitung steckt gerade in einer schweren Krise. Das bekommt die Führungskraft natürlich mit. Ein erster wichtiger Schritt. Oft scheitert Empathie schon bei der Wahrnehmung der Gefühle anderer. Die Mutter der Assistentin ist zum Pflegefall geworden, die Partnerschaft beendet oder das Kind steckt in Schwierigkeiten. Worum auch immer es geht: Der Frau geht es schlecht und das ist deutlich spürbar.
Die Führungskraft könnte jetzt beispielsweise nach zwei Extremen handeln:
- Die Frau muss doch trotzdem performen! Schließlich wird sie dafür bezahlt. Tut sie das nicht, wird sie eben ersetzt. Oder vielleicht etwas schleichender: Die Frau wird aufgrund schwerer Fehler abgemahnt, die sie aufgrund der emotionalen Belastung begeht, und schließlich wird ihr gekündigt.
- Der Mitarbeiterin wird ein Gespräch angeboten. Sie schüttet ihr Herz aus, die Führungskraft kann dem Gespräch kein Ende setzen, schafft ihr Tagespensum nicht. Nach dem langen Gespräch ist die oder der Vorgesetzte völlig erschöpft und muss Überstunden machen, damit das Tagesgeschäft noch erledigt werden kann.
Bei der ersten Variante befindet sich die Führungskraft in einer empathiefreien Zone: Die unternehmerischen Erfolge werden über alles gestellt und die Gefühle der Mitarbeiter spielen keine Rolle. Das ist sicher kein Erfolgsrezept.
Wenn wir uns nun Empathie wünschen, denken die meisten an den zweiten Ablauf. Es ist also kein Wunder, dass viele Geschäftsleute denken: Empathie bringt nichts und verschwendet nur wertvolle Zeit und Ressourcen. Dabei handelt es sich bei dieser Variante um empathischen Stress. Die Führungskraft hat sich so sehr auf die Gefühle der Mitarbeiterin eingelassen, dass sie selbst stark betroffen ist. Sie vergisst und opfert ihre eigenen Bedürfnisse, und, was fast noch schlimmer ist, auch die Bedürfnisse des Unternehmens. Sich selbst unter empathischen Stress zu setzen, ist aber keine gute Wahl. Das geht auch anders:
Die Führungskraft macht einen 15minütigen Termin mit der Mitarbeiterin und weist sie darauf hin, ihr sei aufgefallen, dass etwas mit ihr nicht stimmen kann. Sie erklärt, dass sie der Mitarbeiterin vertraut und fragt sie, was Sie braucht, um wieder leistungsfähig zu sein, ob ihr zum Beispiel ein paar freie Tage dabei helfen würden, sich zu sortieren und ob sie jemanden hat, der sie dabei unterstützen kann. Danach widmet sie sich wieder ihren eigenen Aufgaben.
Die Führungskraft im Tunnel
Ein weiteres Beispiel: Die Führungskraft hat ein schwieriges Telefonat mit einem Kollegen – die Abläufe eines Projektes klappen nicht wie geplant. Innerlich noch vollkommen mit diesem Thema beschäftigt, legt sie auf. Schon steht der Assistent vor ihr und möchte etwas völlig anderes klären. Sie, noch ganz in ihrem Problemtunnel, mault ihn an und vertröstet ihn barsch auf später. Er ist beleidigt und trollt sich.
Ihre Haltung: „Er hätte das doch sehen können, dass es jetzt nicht geht.“
Seine Haltung: „Ich wollte ihr was Gutes tun, und nun werde ich für etwas angeblafft, wofür ich nichts kann.“ Beide sehen sich im Recht mit ihren Emotionen. Aber was ist denn nun richtig? Darf die Führungskraft blaffen, weil der Assistent angeblich nicht einfühlsam genug war, oder schmollt er zu Recht, weil er eine gute Absicht hatte und sich ungerecht behandelt fühlt? Am Ende des Tages haben sicher beide recht mit ihren Gefühlen, doch die Frage ist immer: Wie weit kann ich mich von meinem Standpunkt, von meinen Gefühlen wegbewegen, damit ein Konsens oder ein Kompromiss entstehen kann, mit dem alle gut leben können?
So geht’s mit Empathie
Die Führungskraft weiß, dass der Assistent viele Themen auf dem Tisch hat und sich etwas gehetzt fühlt. Sie antwortet (möglichst in ruhigem Ton), dass sie sich im Moment noch nicht auf das neue Thema konzentrieren kann, dass sie etwas Ruhe braucht, und bittet um eine zehnminütige Pause, bevor sie sich seiner Frage zuwendet. Der Assistent kommt später wieder, beide haben jetzt ein Ohr füreinander. Sie achtet auf ihre Bedürfnisse, sie achtet auf seine Bedürfnisse.
Oder: Der Assistent liest aus der Physiognomie der Chefin, dass sie sich gerade in einem problematischen Zustand befindet. Er sieht, dass sie den Blick gesenkt hält, dass die Stirn kraus, die Miene düster ist. Er kennt sie, hat sie zu lesen gelernt und weiß, dass sie in so einer Verfassung nichts aufnehmen kann. Er beschließt, in zehn Minuten noch mal wiederzukommen und in der Zwischenzeit eine andere Aufgabe zu erledigen. Vor allem: Er beschließt, sich nicht über sie zu ärgern. Somit sorgt er ebenfalls sowohl für sich selbst und seinen Gemütszustand als auch für seine Führungskraft.
Diese empathischen Varianten sehen auf den ersten Blick gar nicht so schwer aus, oder? Allerdings erfordert empathisches Handeln die innere Bereitschaft, vom eigenen Plan abzuweichen, Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer zu nehmen, sich und seine eigenen Wünsche vielleicht einen kleinen Moment zurückzustellen und letztlich weich und gütig zu werden. Das klappt natürlich am besten, wenn alle diese innere Bereitschaft haben. Denn bei Empathie geht es vor allem um die Balance zwischen den Bedürfnissen von Menschen.
Buchtipp:
Monika Hein: Empathie. Ich weiss, was du fühlst. Gabal 2018