Medien, Arbeitgeber, Modedesigner sagen uns, wie wir zu leben haben. Wenn wir ihre weisen Ratschläge befolgen, haben wir große Chancen erfolgreich zu werden. Aber auch glücklich? Und vor allem: Ist es wirklich das Leben, das wir leben wollen?
Martin Wehrle*, Coach und Bestsellerautor („Geheime Tricks für mehr Gehalt„, „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!„), hat sich für sein neues Buch „Sei einzig, nicht artig! So sagen Sie nie mehr JA, wenn Sie NEIN sagen wollen.“ mit dem richtigen Leben für jeden von uns auseinander gesetzt. Dazu haben wir ihm ein paar Fragen gestellt:
Herr Wehrle, wenn ich unglücklich in meinem Job bin und auch sonst nicht alles glatt läuft… Wie bekomme ich mein Leben zurück?
Zum Beispiel, indem Sie sich fragen: „Was würde ich tun, wenn ich nur noch sechs Monate zu leben hätte?“ In meinem Buch schildere ich, wie sich eine junge Betriebswirtin diese Frage stellt – und in diesem Moment plötzlich wieder daran erinnert, was ihr wirklich am Herzen liegt.
Wer sein Leben zurück will, muss dafür etwas unternehmen: Tun Sie jeden Tag mehr von dem, was Ihnen wichtig ist – und weniger von dem, was Ihnen nichts bedeutet. Viel zu oft lassen wir uns vor den Karren fremder Erwartungen spannen, machen es dem Arbeitgeber, den Nachbarn, den Freunden und dem Partner recht.
Aber wonach sehnen wir uns selbst? Nur wer selbst ein erfülltes Leben führt, kann anderen Erfüllung schenken. Wer dagegen immer nur nach einer fremden Pfeife tanzt, wird nicht richtig ernst genommen – und landet schnell in Frust und Burnout.
Aber es kann ja nicht jeder aus seinem Leben heraus? Wir haben ja Partner, Kinder, Job und Eltern…
Es geht nicht darum, das alte Leben komplett einzureißen. Schon eine Renovierung hilft. In meinem Buch biete ich einen Test für einzelne Lebensfelder an, von Beziehung bis Beruf, der neue Impulse liefert.
Was spricht zum Beispiel dagegen, mehr Raum für die eigenen Interessen einzufordern: Zeit für Hobbys, fürs Lesen, für Freunde, für Mußestunden? Wer zum Beispiel seine ganze Freizeit damit verbringt, für seine Familie den Haushalt zu schmeißen, kann durchaus sagen: An zwei Tagen nehme ich frei, da dürfen die anderen Familienmitglieder diese Arbeit übernehmen. Das wird erst für großen Protest sorgen – aber schon nach ein paar Wochen Gewohnheit sein. Es braucht nur den Mut, für die eigenen Interessen einzustehen.
Martin Wehrles Tipps für den „Schwarzen Gürtel im Nein-Sagen“:
- Nehmen Sie sich Zeit! Also nicht sofort auf ein Anliegen antworten, sondern sagen: „Ich komme gleich auf dich/Sie zurück.“ Nun können Sie sich innerlich sammeln und dann ein klares Nein aussprechen – sofern Sie das wollen.
- Seien Sie eindeutig in Ihrem Nein! Sagen Sie zum Beispiel: „Nein, das passt bei mir nicht.“ Meiden Sie sprachliche Weichmacher wie „Eigentlich wollte ich ja nicht …“, denn sonst hört Ihr Gesprächspartner, dass Sie innerlich wanken – und wird nachsetzen.
- Entschuldigen Sie sich nicht für Ihr Nein! Wenn Sie Sätze sagen wie „Sorry, dass ich dich jetzt enttäuschen muss …“, dann wird Ihr schlechtes Gewissen offensichtlich. Und schon wird Ihr Nein torpediert.
- Verzichten Sie auf lange Begründungen! Je mehr Argumente Sie für Ihr Nein aufführen, desto mehr Ansätze zum Nachhaken liefern Sie. Wer zum Beispiel sagt, er könne nicht, weil er die Kinder abholen müsse, hört sofort: „Kann das nicht jemand anders machen?“ Dagegen bleibt eine unbestimmte Begründung („Das passt jetzt nicht!“) unanfechtbar.
- Nutzen Sie Sprache und Körpersprache! Sprechen Sie tief, wenn Sie Nein sagen, verschränken Sie gerne die Arme und halten Sie den Blickkontakt. Das signalisiert, dass Sie entschlossen sind – und gut abgegrenzt.
Glaubenssätze aus der Kindheit wie „Du kannst nicht singen!“ zeigen sich als überraschend haltbar. Wie gehe ich dagegen an?
In meinem Buch zitiere ich eine Studie, nach der ein Kind am Tag 449 Bemerkungen hört, davon nur 37 positive. Eine ganze Kindheit lang bekommen wir also eingeimpft: „Das geht nicht!“, „Lass es!“, „Erst später“ usw. Daraus entsteht bei uns die Überzeugung: Was wir selber wollen und glauben (etwa dass wir satt sind und den Teller nicht leer essen können), ist schlecht. Aber was die anderen wollen und glauben (etwa dass wir den Teller leeressen müssen und noch Hunger haben), ist richtig.
Darum müssen wir wieder den Kontakt zu unseren Gefühlen aufnehmen und nach innen horchen: Was will ich wirklich? Wonach ist mir gerade? Was sagt mir meine Intuition? Das Buch enthält ein ganzes Kapitel darüber, dass unsere Intuition ein vorzüglicher Ratgeber ist – wenn wir es nur lernen, wieder auf sie zu hören.
*Zur Person:
Martin Wehrle ist „Deutschland bekanntester Karriereberater“ (so der Focus). Ein breites Publikum kennt ihn durch seine Kolumne in der ZEIT und durch Auftritt in Talkshows wie „Markus Lanz“ und „Maischberger“. Seine Bücher sind Bestseller und rund um den Globus erschienen, allein „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ hat sich über 300.000 Mal verkauft. Wehrle ist gelernter Journalist, war Chefredakteur und hat eine Doppelabteilung in einem Konzern geleitet. Heute bildet er an seiner Karriereberater-Akademie (www.karriereberater-akademie.de) andere Karrierecoachs aus. In seinem aktuellen Buch „Sei einzig, nicht artig! – So sagen Sie nie mehr Ja, wenn sie Nein sagen wollen“ (Mosaik, 2015) erzählt er auch aus seinem eigenen Leben, etwa wie er sich in einen falschen Beruf verlaufen oder bereits als Schüler einen Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat.
Links:
- Nein zu sagen, hat viel mit Entscheiden zu tun. Persönliche Erfahrungen und fachliche Tipps dazu in den Beiträgen zu unserer Blogparade #jetztentscheideich
- Martin Wehrle: Zehn Gebote für die Gehaltsverhandlung
- „Seien Sie nicht zu bescheiden!„, rät Martin Wehrle. Ein niedriges Einstiegsgehalt zieht sich meist durch das gesamte Berufsleben.
Bild: David-W/photocase.de