Karriere auf russisch: Bloß kein Office-Plankton!

Bilder von Top-Models und Oligarchen-Gattinnen im Pelz bestimmen unsere Wahrnehmung von Russinnen. Doch Frauen stellen 36 Prozent der Führungskräfte bei russischen Mittelständlern; selbst die emanzipierten Schwedinnen kommen nur auf 27 Prozent. Da lohnt es, nachzufragen: Die promovierte Germanistin und Buchautorin Daria Boll-Palievskaya erklärt im Interview, was hinter den Stereotypen steckt, wie sich russische Männer einspannen lassen und was Wodka mit dem Erfolg der Russinnen zu tun hat.

Daria Boll-Palievskaya, geboren 1968 in Moskau, lebt und arbeitet seit Jahren in Deutschland. Die promovierte Germanistin ist als selbständige interkulturelle Trainerin tätig und berät Unternehmen bei ihrem Engagement in Russland. 
Daria Boll-Palievskaya, geboren 1968 in Moskau, lebt und arbeitet seit Jahren in Deutschland. Die promovierte Germanistin ist als selbständige interkulturelle Trainerin tätig und berät Unternehmen bei ihrem Engagement in Russland.

Frau Boll-Palievskaya, reden wir mal über Stereotypen: Die russische Frau ist entweder Top-Model oder Babuschka mit Kopftuch und selbst gezogenem Gemüse …

… und sie heißen alle Olga oder Natascha. Das Bild hier ist stark von den Medien geprägt, und so bekommen manche Phänomene ein Gewicht, das nicht der Realität entspricht. Nehmen wir einmal das Beispiel der Partnervermittlungen: Nur ein geringer Prozentsatz der Russinnen sucht einen deutschen Mann, aber zeitweise sah es hier in den Medien so aus, als wollte der Großteil der Frauen auswandern.

Sie selbst sind zum Studium nach Deutschland gekommen. Welche Unterschiede sind Ihnen aufgefallen?

Mir fiel als erstes auf, dass ich nicht mehr in erster Linie als Frau gesehen wurde. Hier herrscht eine absolute Gleichheit. In Russland muss ein Mann zeigen, dass er eine Frau erobern will. Die Rollen sind also viel klarer: Ein Mann muss im Restaurant grundsätzlich bezahlen, bringt Blumen mit und umwirbt die Frau.

Und wie zeigen sich diese Rollenmuster im Beruf? 

Das ist sehr ambivalent. Einerseits, würde eine Russin nie selbst Möbel rücken, solange ein Mann in der Nähe ist. Mit dieser „schwachen“ Rolle spielen russische Frauen gern, während deutschen Frauen dies sehr schwer fällt. Doch obwohl sich russische Frauen gern von Männern helfen lassen, haben sie es im Berufsleben sehr schwer. Laut den neuesten UNO Angaben, verdienen russische Frauen 30 Prozent weniger als Männer. Auch die Top-Führungspositionen sind meistens von Männern besetzt.

Dazu kommt, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion alle staatlichen Frauenprogramme und Strukturen einfach aufgelöst wurden. Dazu gehörten zum Beispiel staatlich garantierte Krippen- und Kindergartenplätze. Heute muss die Betreuung privat organisiert werden. Das ist entweder sehr teuer oder führt dazu, dass Russinnen aus der Provinz in den Städten Kinder betreuen und ihre eigenen zu Hause zurücklassen müssen. Erst jetzt erarbeitet die russische Regierung ein Gesetz über die Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Und trotzdem sind 36 Prozent aller Managerposten in mittelständischen Unternehmen in Russland von Frauen besetzt (in Deutschland sind es gerade einmal 11 Prozent). Mehr als drei Viertel aller Kleinfirmen gehören Frauen. Wie sie das schaffen, es ist ein Rätsel. Denn den Alltag müssen sie auch meistens alleine stemmen.

Wie muss ich das verstehen?  

Für Russinnen war es immer selbstverständlich zu arbeiten, das hatte nichts mit Emanzipation zu tun, sondern schlicht mit gesellschaftlicher Erwartung und finanzieller Notwendigkeit. Auch heute können es sich nur sehr wenige Familien leisten, dass ein Elternteil zu Hause bleibt. Das ist erst ein relativ neues Phänomen. Dazu kommt, dass viele Ehen, zirka zwei Drittel, geschieden werden. Für die Kinder sorgt hinterher die Frau, und die meisten Männer weigern sich, Unterhalt zu bezahlen. Die Frauen arbeiten also, erziehen ihre Kinder, sind gleichzeitig gut gebildet und legen sehr viel Wert auf ihr Äußeres.

Daher kommt das Bild von der Russin in High Heels auf eisigen Straßen.

Das Bild stimmt. Russische Frauen lieben es, sich weiblich anzuziehen und – selbst bei klirrender Kälte – in Rock, dünnen Strumpfhosen und High Heels nach draußen zu gehen. Bei einer Umfrage fand man heraus, dass eine Moskauerin oder Petersburgerin an die 30 Prozent ihres Gehalts für Kosmetika ausgibt. Manche deutsche Managerinnen, die in Russland arbeiten, fangen übrigens auch an, die russische Galanterie zu genießen und damit zu spielen.

Es heißt, besonders viele Frauen haben den Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus gemeistert.

Zumindest haben sie sich als flexibler und kreativer erwiesen als die meisten Männer. In den Neunzigern verloren Männer wie Frauen ihre Jobs. Aber während viele Männer ihren Frust in Alkohol ertränkten, zogen Frauen los und fingen an zu handeln. Die ganz großen Stücke vom Kuchen erhielten sie so allerdings nicht. Weil es keine hohen Parteifunktionärinnen gab, findet sich keine Frau in der ersten Generation der Oligarchen. Mittlerweile gibt es in der zweiten Generation zahlreiche Frauen, die entweder selbst erfolgreiche Unternehmen aufgebaut haben oder aufgrund hervorragender Ausbildung in hohe Management-Positionen gekommen sind.

Russinnen gelten zudem als sehr bildungsorientiert und fleißig.

Viele Russen haben ein sehr hohes Bildungsideal: Ich muss ehrgeizig sein, denn erst durch Leistung kann ich mich beweisen. Diese Menschen können es nicht verstehen, wenn andere damit zufrieden sind, als Office-Plankton mitzuschwimmen und keine Ziele im Leben zu haben. Russinnen zeigen hier eine große Bereitschaft, sich für ihre Ziele zu engagieren.

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