Alles ist da: Hard Skills, Soft Skills und der Wille zum Führen – und dann will es in der Praxis doch nicht klappen. Ich begleite seit vielen Jahren Frauen auf ihrem Weg in die Führung. Dabei beobachte ich immer wieder dieselben Muster, die zu Unzufriedenheit und Verwunderung führen: Ich gebe doch alles, warum will es dann nicht so klappen, wie ich es mir vorstelle? Ich möchte euch die drei häufigsten Fettnäpfchen vorstellen, in die Führungsfrauen treten – und euch mögliche Lösungswege vorstellen.
1. Delegieren lernen
Problem: Viel Input, wenig Output
Frauen in Führung treten ab und an in die Falle, viel fördern zu wollen, dabei aber zu vergessen, dass auch fordern wichtig ist. Und mit dem Fordern ist auch das Delegieren gemeint.
Führungsfrauen berichten mir, dass trotz umfangreicher Förderung ihrer Mitarbeitenden viele von ihnen nur mittelmäßige Leistungen zeigen. Im gleichen Atemzug erzählen sie, dass sie sich oft überfordert fühlen und häufig am Anschlag ihrer Kräfte laufen. Meist wissen sie nicht, was sie anders machen sollen, um eine bessere Teamleistungen zu erreichen. Sie sagen, sie sind ihren Mitarbeiter:innen zugewandt, führen auf Augenhöhe, haben immer eine offene Tür und fördern, wo es nur geht. Dennoch scheint das nicht zu reichen, um die Leistung zu erhöhen, und selbst weniger Arbeit auf dem Tisch zu haben und sich wie kurz vor dem Ausbrennen zu fühlen.
Lösung: Das Team empowern
Was hier fehlt, ist das konsequente Fordern und Delegieren. Wenn Führungsfrauen lediglich fördern und durchweg eine offene Tür für alle Anliegen und Probleme haben, dann lenken sie Mitarbeiter:innen unbewusst gerne mal in die falsche Richtung. Die Leute wissen irgendwann: die Chefin regelt schon und findet für Probleme passende Lösungen. Das bremst das Eigenengagement der Teammitglieder. Ihnen fehlen die notwendige Power und die Lust, für Probleme selbst eine Lösung zu finden.
Wenn Frauen in Führung konsequent delegieren und damit auch Leistung und Engagement einfordern, vermitteln sie Wertschätzung und Zutrauen. Sie trauen ihren Mitarbeitenden zu, dass sie selbstwirksam sind, alleine Lösungen finden können. Mit dem Delegieren fordern sie das Team regelmäßig heraus. So wächst nach und nach ein reifes Team heran, das viele Themen und die entsprechende Problemlösung alleine gewuppt bekommt – und das entlastet zum Schluss die Führungskraft.
2. Selbstvertrauen in Konfliktsituationen haben
Problem: Aus falschen Gründen konfliktscheu
Führungsfrauen gehen Diskussionen und Konflikten gerne aus dem Weg und verpassen dadurch die Chance, Position zu beziehen und für die eigenen Überzeugungen einzutreten. Dadurch kann es passieren, dass Frauen in Führung nicht als Persönlichkeit wahrgenommen werden, die voller Selbstsicherheit und entsprechend ihrem Werteverständnis agiert.
Die Ursache dieses Verhaltens ist vor allem in der Sozialisation von Frauen und den daraus erwachsenen kulturellen Erwartungen zu suchen. Denn Frauen werden oft in einer Weise sozialisiert, die Kooperation und Empathie betont, während Männer häufiger zu Wettbewerb und Durchsetzungsvermögen ermutigt werden. Diese Unterschiede in der Sozialisation können sich in der Arbeitswelt widerspiegeln und damit auch in Führungspositionen.
In Konfliktsituationen haben Frauen in Führung häufig den Eindruck, dass sie als ganzer Mensch in Frage gestellt werden – obwohl nur Kritik an einem speziellen Verhalten oder einer Tätigkeit geübt wird. Und schon fällt das Selbstvertrauen-Kartenhaus in sich zusammen.
Lösung: Cool bleiben und Stellung (auf der richtigen Ebene) beziehen
In Konfliktsituationen ist es wichtig, die Sachebene von der Beziehungsebene zu trennen. Ein Sachverhalt kann intensiv diskutiert und dabei hart verhandelt werden. Das bedeutet nicht, dass Menschen deswegen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Man kann sich als Mensch irren, etwas falsch einschätzen oder auch mal kommunikativ eine schlechte Figur abgeben. Doch die Abwertung als Mensch und der Gedanke „Du hast es einfach grundsätzlich nicht drauf“ bringt einen überhaupt nicht weiter.
In solchen Situationen hilft es viel mehr, gezielt darauf zu achten und sicherzustellen, dass es jederzeit um die Sache geht. Und diese dann mit kühlem Kopf und weichem Herzen (sich selbst gegenüber) zu regeln. Geht es bei Konflikten um die Sache, kann wirklich um die beste Lösung gerungen werden.
Wer das gut voneinander trennen kann, agiert selbstbewusster, weil man sich als Menschen grundsätzlich selbst vertraut und weniger persönlich nimmt. Auch wenn man mal irrt oder einen Fehler macht. Positionen zu beziehen und für eigene Überzeugungen einzustehen, fällt einem leichter, wenn man sich in Konfliktsituationen nicht von jeder Anmerkung und Kritik aus der Ruhe bringen lässt.
ikonist:a Buchtipp
Lilian Gehrke-Vetterkind: Frau kann Chef. Mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen
GABAL Verlag GmbH, 2023
192 Seiten, 28 Euro
3. Perfektionismus runterfahren
Problem: Die einzige High-Performerin auf weiter Flur
Frauen in Führung schließen auch mal gerne von sich auf andere und sind genervt, wenn Menschen nicht so einen hohen Perfektions- und Leistungsanspruch haben wie sie selbst. Das habe ich in vielen Gesprächen, die ich mit Führungsfrauen führte, als Enttäuschung herausgehört. Diese Frauen erhoffen sich bei ihren Mitarbeiter:innen, dass diese genauso engagiert, freudig und schnell sind wie sie selbst – und einen ähnlichen leistungsorientierten Arbeitsstil an den Tag legen.
Lösung: Slow down – nicht jede:r möchte glänzen
Andere Menschen ticken anders als man selbst und haben andere Bedürfnisse und Prioritäten. Das sollte man keineswegs persönlich nehmen. Menschen haben unterschiedliche Motive und Werte und agieren entsprechend.
Wenn Führungsfrauen bemerken, dass sie häufig genervt und enttäuscht sind, weil Mitarbeiter:innen mutmaßlich langsamer arbeiten, andere Prioritäten setzen oder einen niedrigeren Anspruch an Qualität haben, empfehle ich ihnen diese drei Reflexionsfragen:
- Sind meine Mitarbeitenden vielleicht deshalb so initiativlos, weil ich so energiegeladen bin, zu allem etwas weiß oder eine feste Meinung habe und sie sich davon überrollt fühlen?
- Ist mein Anspruch an Qualität immer passend oder reicht auch einmal die PowerPoint-Version aus, die mein:e Mitarbeiter:in erstellt hat?
- Warum ist es mir so wichtig, dass die anderen ganz selbstverständlich die Extrameile gehen und Überstunden machen? Wie gut kann ich damit leben und umgehen, dass meine Mitarbeitenden sich um ihren ganzheitlichen Lebensentwurf, bestehend aus Arbeit und Privatleben, kümmern?
Von sich auf andere zu schließen ist ein großer Stolperstein für Führungsfrauen. Es kommen immer individuelle Werte und Motive der Menschen ins Spiel. Und das ist wichtig zu erkennen. Dann kann eben auch mal eine – in den eigenen Augen – nur halb-schicke PowerPoint-Präsentation in Ordnung sein. Oder es geht klar, dass das Projekt erst am Folgetag fertiggestellt wird.
Es ist wichtig anzuerkennen: Führungsfrauen werden nicht geboren, sie entwickeln sich zu ihnen. Dafür braucht es Geduld mit sich selbst, Selbstreflexion und den Mut, auch einmal neues auszuprobieren. Oft hilft auch der Austausch mit anderen Frauen in Führung, beispielsweise in einer Online-Community oder dem lokalen Stammtisch.
Unsere Autorin Lilian Gehrke-Vetterkind
Lilian Gehrke-Vetterkind ist Autorin des vielbeachteten Buches „Frau kann Chef“ (GABAL Verlag). Sie ist Diplom-Betriebswirtin und als systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change Management sowie Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun tätig. Zudem ist Lilian LINC Personality Profiler Coach und hat über 20 Jahre Praxiserfahrung in der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Neben ihrer Beratungs-und Trainingstätigkeit in ihrer Unternehmensberatung Gehrke & Vetterkind Consultants (mit dem Schwerpunkt Diversity & Inclusion und Female Leadership) ist sie Kooperationspartnerin der Haufe Akademie sowie Mitglied der Frauen-Netzwerke nushu und FidAR e.V.