Anouk Ellen Susan ist Netzwerkerin aus Leidenschaft. In ihrem ersten Leben als Führungskraft im Marketing erfuhr sie selbst, wie wichtig und hilfreich es sein kann, bei Fragen die passenden Kontakte parat zu haben. Heute teilt sie ihr Wissen als Speakerin und Coach. Mit uns sprach sie über das Netzwerken für introvertierte Menschen und verriet uns, was Deutsche sich von den Niederländer*innen abschauen können.
Zum Beginn gleich die Frage: Muss jeder Mensch netzwerken?
Ich glaube, dass es für jeden sinnvoll sein kann, sich privat und beruflich zu vernetzen. Spätestens wenn eine berufliche Veränderung ansteht, ist es sehr praktisch, Menschen zu kennen, denn 85 Prozent aller Stellen wird durch Vitamin B besetzt. Dabei kann man auch selbst das Vitamin B sein und schnell passende neue Kolleg*innen finden.
Als Selbstständiger oder Unternehmer ist es sowieso unabdinglich, Projektpartner*innen, spannende Menschen oder potenzielle Auftraggeber*innen zu kennen. Aber auch im Privaten kann ein Netzwerk immer nur von Vorteil sein: Spätestens wenn Eltern auf der Suche nach einer Kinderbetreuung oder zuverlässigen Babysitter*innen sind, hilft der Austausch mit anderen. Mein Motto: Alleine bist du manchmal vielleicht schneller, aber gemeinsam kommst du weiter.
Du bist gebürtige Niederländerin und der Titel deines Buches ist „Lekker anders netzwerken“. Was können sich die Deutschen beim Netzwerken von den Niederländer*innen abschauen?
Sie können sich definitiv die Lockerheit abschauen. Da man im Niederländischen gleich per du ist, geht man meistens von Beginn an lockerer ins Gespräch rein. „Lekker“ wird ins Deutsche oft mit „Lecker“ übersetzt. Es bedeutet aber auch gut, schön, angenehm oder bequem. Einfach mal „een kopje koffie drinken“ bedeutet deshalb auch, einen Kaffee trinken zu gehen, ohne eine enorme Erwartungshaltung zu haben.
Vielleicht weiß ich nach kurzer Zeit den Namen der Katze des Nachbarn, aber habe noch kein Wort über das Business gesprochen. Außerdem gibt es in den Niederlanden den Umtrunk, das sogenannte „Borrelen“. Auch nach Kongressen trifft man sich zum Borrelen, um in einem informellen Setting spannende Gespräche zu führen und entspannt zu netzwerken.
Das klingt gut und kommt sicher zurückhaltenden Menschen entgegen, die eher Hemmungen haben, auf klassischen Netzwerk-Veranstaltungen die Visitenkarte zu zücken. Hast du besondere Netzwerk-Tipps für Menschen, die eher introvertiert sind?
Ja, es muss nicht immer die große Messe sein oder der Kongress. Wertvolle Kontakte lassen sich auch im Privaten knüpfen, beim Sport, im Ehrenamt oder im Chor. Wenn wir Menschen im Kontext eines Hobbys treffen, teilen wir schon einmal mindestens ein Interesse. Das ist ein guter Anfang. Und es müssen auch nicht immer neue Kontakte sein. Es kann schon herausfordernd sein, bestehende Kontakte zu pflegen. Laut einer LinkedIn-Studie findet es jeder Vierte schwierig, mit anderen in Kontakt zu bleiben. Sich also einen Zeitraum in der Woche freizuhalten, um Bekanntschaften im Netzwerk zu pflegen, kann ein Ziel sein.
Und wenn wir gerade von LinkedIn sprechen: Das Netzwerken auf Social Business Netzwerken kann für introvertierte Menschen sehr hilfreich sein. Hier braucht es zunächst keinen persönlichen Austausch, auf LinkedIn oder Xing reicht ein Klick, um Kontakt aufzunehmen. Das liegt vielen Menschen mehr. Wenn es doch einmal ein Live-Event gibt, auf das man gehen will, kann es helfen, eine Person mitzunehmen, die einem zur Seite steht. Ich finde allein die Tatsache beruhigend, dass 30 bis 50 Prozent der Menschen eher introvertiert sind. Das heißt, dass jeder Zweite bis Dritte, den wir treffen, genauso zurückhaltend agiert, wie wir es auch gern möchten.
Gibt es auch etwas, was wir beim Netzwerken falsch machen können?
Gar nicht reden oder zuviel reden, beides ist schwierig. Wer aufgezogen wie ein Duracell-Hase spricht, ohne das Gegenüber zu Wort kommen zu lassen, wird wenig erfolgreich sein. Es ist wie im wahren Leben: Stellt Fragen, zeigt Interesse und seid authentisch. Auf dieser Basis können ehrliche, nachhaltige Kontakte geknüpft werden.
Und genauso offen sollte man auch auf Events gehen. Wer vorher bereits im Programm anstreicht, wen er unbedingt sprechen muss und wessen Visitenkarte er ergattern muss, schränkt sich selbst ein. Denn meistens sind es die zufälligen, ungeplanten Begegnungen, die eine solche Veranstaltung ausmachen. Deshalb bleibt offen und macht das Interesse an Menschen nicht von ihrer Funktion abhängig.
Das klingt gut. Es geht erst einmal nur ums Kennenlernen.
Ja, genau. Ein Geschäftspartner sagte letztens zu mir: „Leg nicht gleich den Ehering beim ersten Treffen auf den Tisch.“ Das ist ein gutes Bild. Wir machen in der Regel nur mit den Menschen Geschäfte, empfehlen sie weiter, bitten sie um Hilfe, wenn sie uns sympathisch sind.
Lasst die Visitenkarte stecken und geht nicht sofort in den Verkaufsmodus. Lernt Menschen ungezwungen kennen und achtet auf die typischen No-Go’s: Alkohol wenn überhaupt nur in Maßen, verzichtet Misophoniker*innen zuliebe darauf zu schmatzen oder mit vollem Mund zu reden und seid freundlich.
Kann man auch die „falschen“ Menschen in seinem Netzwerk haben?
Ja, das kann man. Dazu zählen Menschen, die nur nehmen. Social Media Berater Mike Sansone bietet dafür die 70-20-10 Regel an. Nach ihr sollte man 70 Prozent seiner Zeit beim Netzwerken nutzen, um anderen zu helfen und 20 Prozent, um sich selbst vorzustellen und zu zeigen, was man selbst anzubieten hat. Demnach nutzt man nur zehn Prozent der Zeit, um konkrete Wünsche zu äußern und andere um Hilfe bitten.
Strategisch betrachtet kann es auch sein, dass man sich im falschen Netzwerk aufhält, wenn sich zum Beispiel die eigenen Themen oder Ziele geändert haben. Deshalb ist es ganz wichtig, die eigenen Ziele zu kennen, um dann wertvolle Kontakte aufzubauen.
Gilt: Je größer das Netzwerk umso besser?
Nein, das lässt sich nicht pauschal sagen. Lieber ein kleineres Netzwerk, in dem es einen regen Austausch gibt, als ein großes „totes“ Netzwerk. Zum Start könnt ihr euch einfach mal 10, 20 oder 50 Kontakte auswählen und eine gute Beziehung aufbauen. Ich gratuliere beispielsweise jeder Person, mit der ich auf LinkedIn vernetzt bin, zum Geburtstag.
So habe ich mindestens einmal im Jahr Kontakt. Bei einigen rufe ich zum Geburtstag auch an, ich trage mir Hochzeitstage ein, die Geburtstage der Kinder oder den Tag, an dem ein Elternteil verstorben ist und lasse wissen: „Heute denke ich ganz besonders an dich!“ Das mache ich aber nur bei sehr engen Kontakten.
Zum Schluss die Frage: Wie viel Zeit sollten ich in die Pflege eines Netzwerkes stecken?
Mit wenigen Minuten am Tag ist ein guter Anfang gemacht. Gerade über LinkedIn kann man durch Reaktionen und Kommentare im Austausch bleiben und der schöne Nebeneffekt: man bekommt auch Reaktionen zurück. Zwischendurch schicke ich auch einfach mal offline eine Karte, gehe Kaffee trinken, schicke Artikel oder Jobangebote weiter oder vernetze Menschen miteinander.
Wer nicht so viel Zeit hat, sucht sich vielleicht einfach eine der Sachen raus oder nimmt sich täglich zehn Minuten und schaut, wie groß der Effekt allein dadurch schon ist. Netzwerken ist auf jeden Fall kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.
Buchtipp
Anouk Ellen Susan
LEKKER anders Netzwerken: Für Einsteiger