Auf einem Treffen für Ehrenamtler begegnete mir schwache Führung. Sie heulte mir quasi ins Gesicht. OK, sie heulte nicht wirklich, aber sie jammerte ziemlich viel herum. Ich ging aus dem Treffen raus und war irgendwie wütend. Dabei waren doch alle total nett gewesen. Es dauerte eine Weile, dann wurde mir klar: Da führt niemand richtig! Die Auswirkungen sind verheerend, wie ich vor Ort erleben konnte.
Bild: willma…/photocase.de
Werbung:
[adrotate banner=“5″]
Ich war verblüfft, denn ich kannte bis dato hauptsächlich autoritäre Führung, Kontrollwahn und Mikromanagement – mit üblen Folgen. Dabei kann schwache Führung ebenfalls so einiges anrichten…
Daher hier ein paar Tipps, woran Du schwache Führung erkennst:
1. Sympathie
Das allerwichtigste Merkmal: Schwache Führung ist total nett und sympathisch. Deshalb ist sie erst mal sehr schwer zu erkennen und kann ihre zerstörerische Natur gut verbergen. (Natürlich muss man nicht autoritär sein, um gut zu führen – im Gegenteil. Aber nur nett geht halt auch nicht.) Noch schlimmer ist es, wenn die Nettigkeit nur sehr oberflächlich ist, de facto aber hintenrum agiert wird.
2. Schicksalsergebenheit
Hach ja, dies und das funktioniert nicht. Schuld sind aber immer die anderen. „Wir können das nicht beeinflussen.“ Schlüsselsatz: „Wir würden ja gerne, aber…“
Man könnte das auch mangelnde Durchsetzungskraft oder fehlenden Kampfgeist nennen. Jedenfalls werden auf diese Weise wichtige Schritte ständig verschoben und das Projekt geht nur nervenaufreibend langsam voran.
3. Fehlender Fokus
Dadurch, dass schwache Führung sich nicht durchsetzt und es jedem recht machen will, entsteht Chaos und das Team verzettelt sich. Niemand weiß, wo es eigentlich langgeht – am wenigsten natürlich die Führung.
Jeder macht irgendwas nach eigenem Gutdünken, verschiedene Aktionen blockieren sich gegenseitig. Oder aber es tut niemand etwas. Es kommt zwangsläufig zu Konflikten, die aber wegen der unbedingt aufrechtzuerhaltenden Harmonie unter den Teppich gekehrt werden.
4. Heimliche Führung
Es entsteht ein Machtvakuum, das jederzeit gefüllt werden kann: im besten Fall von freundlichen, kompetenten Menschen – im schlechtesten von Arschlöchern, sich selbst überschätzenden Unfähigen oder gar Kriminellen.
Na, das sind ja schöne Aussichten!
5. Harmonie
Jegliche Kritik und auch Konflikte werden mit zuckersüßer „Wir sitzen doch alle in einem Boot, liebe Leute“-Harmonie überschüttet. So kommt man natürlich wieder nicht voran.
Überhaupt halte ich übertriebene Harmonie für sehr gefährlich. Denn alles, was nicht offen kommuniziert oder überhaupt nur angesprochen werden darf, bleibt unter der Oberfläche und gärt vor sich hin. Und wird irgendwann explodieren. Das war’s dann endgültig mit der Harmonie.
(Im Ehrenamt ist das Thema Harmonie noch mal besonders virulent, da ja alle Teammitglieder freiwillig und unbezahlt dabei sind und jederzeit gehen können. Man möchte also niemanden durch Kritik verschrecken.)
6. Unbeweglichkeit
Konkrete Lösungsvorschläge und neue Ideen werden abgeblockt, was mit der Schicksalsergebenheit zu tun hat: „Das bringt doch nichts. Der Zug ist abgefahren.“ Oder es wird auf angeblich unüberwindbare Hindernisse hingewiesen: der Brandschutz, die Nachbarn, irgendein Gesetz. Beliebt sind auch Totschlagargumente wie „Das haben wir schon mal versucht.“ Wieder geht das Projekt nicht voran.
7. Ineffektivität
Es wird Euch jetzt nicht überraschen, dass schwache Führung völlig ineffektiv ist. Kein Wunder – wie soll ein harmoniesüchtiges, unbewegliches Team ohne Fokus und Entscheidungskraft irgendetwas auf die Reihe bekommen?
Aber zurück zu meinem Ehrenamtlertreffen. Ich hatte wie gesagt ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Als ich mich im Publikum umschaute, sah ich lauter supernette Menschen, die es gut meinen und sich engagieren wollen.
Menschen, die bereit sind, all diese himmelschreienden Signale zu übersehen, denn „es geht ja um einen guten Zweck“. Menschen, die gerade (!) von dem Chaos vor Ort und Unvermögen der Führung angezogen werden: „Gerade hier muss man doch helfen!“ Menschen, die sich ausnutzen lassen von einem nimmersatten, fehlgeschalteten System. Ich sah mein altes Selbst.
Ich hab dann erst mal drüber geschlafen. Klar, ich wollte helfen – aber nicht um jeden Preis. Und so entschied ich, mich bei diesem Projekt nicht zu engagieren. Vor ein paar Jahren wäre das noch anders gewesen. Da wäre auch mein Corporate-Helfersyndrom zu stark gewesen und ich hätte mir gesagt:
„Die Armen, die schaffen es nicht. Hier muss Superwoman einspringen. Gerade, weil es nicht funktioniert! Eine muss es ja machen.“
Kann schon sein, aber ich muss es nicht. Ich habe keine Lust mehr, meine Zeit und Energie in ein Fass ohne Boden, ein schwarzes Loch, reinzubuttern – in ein lernresistentes System.
Im Gegenteil: Ich möchte wirklich etwas bewegen; ich werde durch Fortschritt und Erfolge motiviert. Wenn es die nicht gibt, nenne ich das Zeitverschwendung. Oder Ringelpietz mit Anfassen.
Hätte es Alternativen gegeben? Ich hätte versuchen können, selbst die Führung zu übernehmen. Aber Superwoman hat schon lange Feierabend. Und auf Dauer in einer Führungsrolle zu agieren, die nicht legitimiert ist, dürfte ziemlich anstrengend sein. Es fühlt sich für mich einfach nicht richtig an.
Ich hätte auch die Harmonie des Teams immer wieder herausfordern können. Mit der Zeit wird man allerdings leicht zum Buhmann (oder zur Buhfrau? ) und zum Spielverderber – das ist nicht meine Rolle. Früher oder später würden Team und Herausforderer sich wohl trennen.
In den letzten Jahren habe ich es selbst schmerzhaft lernen müssen und gebe Dir daher den Tipp: Überleg Dir gut, wo Du Deine Zeit und Energie investierst! Ein schwach geführtes System ist nur zu Unfrieden und Chaos fähig. Und das ist das Gegenteil von dem, was ich in meinem Leben haben möchte – ob im Ehrenamt oder im Job.
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form zuerst auf Lydia Krügers Blog „Büronymus – die menschliche Seite der Arbeit“.
Buchtipps & Links:
- Ehrenamt finden: Ehrenamt.de
- Wie Teams funktionieren: Teamrollen nach Belbin