Als 1. Vorsitzende des Digital Media Women e.V. setzt sich Maren Martschenko dafür ein, dass Frauen in der Arbeitswelt gleichberechtigt teilhaben und sichtbar Einfluss nehmen. Sie sieht im digitalen Wandel die größte Chance, diese Vision zu verwirklichen. Wenn sie nicht gerade den wöchentlichen Technology Shabbat hält, ist sie online. Im Hauptberuf arbeitet Maren als freiberufliche Markenberaterin für Solopreneure, Startups und den kleineren Mittelstand.
Bild: Raimund Verspohl
Wie bist du auf die Idee für die Kampagne gekommen?
Bei einer meiner morgendlichen Laufrunden. Oft bewege ich da Themen im Kopf, die mich schon länger beschäftigen. Bei der Idee zur #30mit30-Kampagne kamen verschiedene Aspekte zusammen: Unsere Vision bei den #DMW ist es, Chancengleichheit für Frauen und Männer herzustellen. Sehr oft wird betont, wie rückschrittlich Deutschland sei. In Social-Media-Kanälen werden Shitstorms gestartet, wenn mal wieder ein Gruppenbild von mittelalten, weißen Männern in dunklen Anzügen auftaucht und im Untertitel etwas steht von „Zukunft gestalten“. Das ist verständlich.
Gleichzeitig sind diese Gespräche meines Erachtens von einem Defizitdenken geprägt beziehungsweise von einem „Mixed Mindset“, also einer fest verankerten Geisteshaltung. Ich habe mich gefragt, wie können wir da einen positiven Dreh hineinbekommen und daraus ein „Growth Mindset“ entwickeln – eine Haltung, die sich der positiven Entwicklung annimmt.Zudem führen Frauen im Wesentlichen die Debatte. Es ist richtig, dass Frauen die Nachteile fehlender Gleichberechtigung stärker spüren als Männer. Das Problem jedoch können wir nur gemeinsam lösen. Die Frage war also auch: Wie kriegen wir die Männer an Bord? Mit einer Quotendiskussion auf jeden Fall nicht, obwohl die Quote von Frauen eine wichtige Rolle spielt.
Die Frage war also auch: Wie kriegen wir die Männer an Bord? Mit einer Quotendiskussion auf jeden Fall nicht, obwohl die Quote von Frauen eine wichtige Rolle spielt.
Studien zeigen, dass männliche Verhaltensstereotype überwiegen, wenn der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt. Das ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Chancengleichheit. Diese kritische Masse zu erreichen ist ein wichtiger Meilenstein.
Was ebenfalls Studien zeigen: Unternehmen, die einen Frauenanteil von über 30 Prozent in Führung haben, sind am Markt innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher. Es lohnt sich also, genau dahin zu schauen.
Diese Überlegungen bewegte ich damals in meiner Laufrunde. Die #30mit30-Kampagne sollte auf all diese Fragen ein paar Antworten liefern.
#30mit30 – was steckt denn genau dahinter?
Wir suchen 30 Unternehmen mit über 100 Mitarbeiter*innen in Deutschland, die einen Frauenanteil in den ersten drei Führungsebenen von über 30 Prozent haben. Wir führen mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Unternehmen Tiefeninterviews und beleuchten drei Fragen:
- Wie ist dieser Frauenanteil zu Stande gekommen?
- Welche Kultur liegt zu Grunde, um den Frauenanteil nachhaltig und langfristig zu halten?
- Was hat sich in der Folge für das Unternehmen verändert?
Ziel ist, Good-Practice-Beispiele zu sammeln und auf diese Weise andere Unternehmen und Institutionen aus allen Bereichen der Gesellschaft zu inspirieren, sich auch auf den Weg zu machen. Die Ausrede „Wir würden ja gerne, aber wir wissen nicht wie“, gilt nicht mehr.
Die ersten Interviews sind geführt: Was sind eure Erkenntnisse? Gibt es Überraschungen?
Wir haben mittlerweile mit zehn Unternehmen Interviews geführt. Die erste Erkenntnis: Es geht, wenn man will. Was wir beobachten können ist, dass die Initiative von ganz oben kommt. Die Führung denkt nicht aus einem Defizit heraus, sondern aus der Haltung: Wenn wir die Frauen nicht fördern und in Führung bringen, lassen wir die Hälfte der guten Idee und die Innovationskraft von diversen Teams ungenutzt. Das ist für diese Unternehmen auch aus wirtschaftlicher Sicht undenkbar.
Die erste Erkenntnis: Es geht, wenn man will.
Gleichzeitig sehen wir, dass es eine ganze Mischung an Maßnahmen braucht, um den Frauenanteil auf Führungsebenen zu erhöhen.
- Dazu zählt, dass die Unternehmen Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit und auch Diversität schaffen. Das geht weit über flexible Arbeitszeiten und -orte hinaus.
- Die Reibungsfläche in diversen Teams ist deutlich höher. Das braucht Kommunikationstrainings und eine neue Form von Offenheit und Transparenz. Auch der bewusste Umgang mit Verhaltensstereotypen wird bewusst trainiert. Thoughtworks bietet zum Beispiel sogenannte Ally-Skill-Trainings, wo man lernt, woran man diskriminierendes Verhalten erkennt und wie man es anspricht, wenn man es bei anderen beobachtet.
- Die Unternehmens- und Führungskultur hat sich verändert. Ich nenne es eine Kultur des Zutrauens. Männern und Frauen werden bestimmte Rollen und Aufgaben jenseits der Klischees zugetraut, z. B. Frauen die Führungsaufgaben, Männern die Care-Arbeit in der Familie. Bei ZBW wir die Haltung vertreten, dass es nicht sein kann, dass man Vereinbarkeit predigt und klassisches Rollenverständnis lebt.
- Führungspositionen gibt es in Teilzeit. Es gibt eine hohe Transparenz bei den Unternehmenskennzahlen. Informeller Informationsaustausch wird gefördert. Hierarchien werden abgeflacht. Oft geht es mit einer agilen Arbeitsweise einher. Das fördert die Selbstverantwortung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das wiederum entlastet die Führungsebene. Bei der Andagon Group entwickelt ein Team von Mitarbeitern beispielsweise ein faires Karrieremodell für das gesamte Unternehmen.
- Auch im Recruiting wird darauf geachtet, eine Willkommenskultur zu schaffen. Es gibt gut strukturierte Onboarding-Prozesse.
Das erste Zwischenfazit, das ich ziehen würde, lautet, dass es diese Rahmenbedingungen und die Unternehmenskultur sind, die Frauen den Raum für Entwicklung nach oben geben. Auch die Männer in den Unternehmen melden zurück, dass sie sich in dieser Kultur viel wohler fühlen.
Und das ist für mich auch das Überraschendste an der Kampagne: In den bereits interviewten Unternehmen gibt es so gut wie keine gezielte Frauenförderung und keine explizite Diversity-Strategie, sondern sehr viele Maßnahmen für Frauen und Männer gleichermaßen.
Eine Erkenntnis ist auch: Nichts davon ist Rocket Science. Es gibt aber auch keinen Quickfix.
Das Schöne ist: Wenn wir auf den Veranstaltungen die Ergebnisse vorstellen, atmen alle auf: Die Frauen, weil sie erkennen, dass sie sich in einer solchen Kultur nicht verändern müssen. Dass nicht sie sich an das bestehende System anpassen müssen, wenn sich das System verändert. Die Männer, weil sie merken, dass es eigentlich gar nicht um eine Quote geht, sondern um „gutes Arbeiten in einem menschlichen Miteinander“. Das interessiert sie auch sehr! Die Führungskräfte, weil sie sehen, dass es machbar ist und selbstverantwortliches Arbeiten sie entlastet.
Überraschend ist in gewisser Weise: Wer Frauen fördern will, braucht keine dezidierte Frauenförderung, sondern „nur“ einen Kulturwandel.
„Man muss nur wollen!“, sagte Theresa Kretzschmar, Personalleiterin bei Spreadshirt, auf eurem Panel auf der re:publica und erzählte, wie ihr Unternehmen vier Monate auf eine Kandidatin wartete, die sich hochschwanger auf einen Job bewarb. Wie funktioniert es, eine solche Kultur zu entwickeln?
Wir sehen, wie wichtig es ist, dass die Initiative von ganz oben ausgeht. Dann braucht es Geduld, neue Prozesse und eine intensive Auseinandersetzung mit Verhaltensstereotypen, z. B. in Form von Workshops. Es ist kein Prozess, der von heute auf morgen passiert. Es dauert mehrere Jahre, bis alle Rädchen ineinander greifen. Führungskräfte müssen hier Vorbilder sein.
Eine Haltung wie bei Spreadshirt und der schwangeren Marketingleiterin sind wie selbstverständlich verankert. Da gab es gar kein Vertun, dass sie wirklich die Beste wollten und dass es keine Rolle spielt, ob sie ein Kind hat oder nicht. Das ist ja in den meisten Unternehmen in Deutschland leider unvorstellbar. Da wird auch ein Unconsious-Bias-Training nichts ändern.
Gibt es eine DNA, die das begünstigt? Worauf sollten Frauen bei der Arbeitgebersuche beachten?
Nur auf einen Wertekodex zu schauen genügt nicht. Frauen sollten in Bewerbungsgesprächen sehr genau nachfragen, wie gearbeitet wird, wie kommuniziert wird, wie bei Beförderungen vorgegangen wird, wie der Onboarding-Prozess aussieht, ob es interne Netzwerke gibt, was in Sachen „Feelgood“ unternommen wird, wie hoch der Frauenanteil auf der Führungsebene ist. Das wird durch die Kampagne deutlich: Vereinzelte Frauen in Führung sind durch Zufall oder durch Anpassung dorthin gekommen. 30 Prozent erreichen die Unternehmen nur durch einen systematischen Kulturwandel.
Vereinzelte Frauen in Führung sind durch Zufall oder durch Anpassung dorthin gekommen. 30 Prozent erreichen die Unternehmen nur durch einen systematischen Kulturwandel.
Wie geht es weiter? Was habt ihr in Zukunft vor?
Wir möchten gerne 30 Unternehmen finden. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schwer wird. Aber ich bleibe optimistisch. Wir werden mit unseren Ergebnissen weiter auf Tour gehen, um Unternehmen konkrete „Good Practices“ von anderen Unternehmen an die Hand zu geben, wie sie ihr Ziel von Chancengleichheit erreichen können.
Auf der Karrieremesse herCareer haben wir zum Beispiel drei Meetups und ein Panel dazu.
Wir erleben bei Unternehmen ein hohes Interesse an den Ergebnissen und Erkenntnissen unserer Kampagne. Am liebsten würden wir jedes Jahr 30 Unternehmen mit einem Award auszeichnen. In meiner Vision ist es in zehn Jahren selbstverständlich, einen Frauenanteil von 30, noch besser 50 Prozent zu haben und wir reden nur noch darüber, was Menschen brauchen, um gut zu arbeiten und zu führen bzw. geführt zu werden. Denn darum geht es im Kern unserer Kampagne.
Wie können Unternehmen mitmachen? Können die sich bei euch bewerben?
Sie können sich über unsere Webseite 30mit30.de bewerben oder eine Email an 30mit30@digitalmediawomen.de schreiben. Man kann uns auch Unternehmen vorschlagen, wenn jemand eines kennt.
Disclaimer: Die Herausgeberin der Business Ladys, Ute Blindert, ist langjährige engagierte #DMW und hat mit Maren Martschenko im Vorstand der #DMW gearbeitet.
Buchtipps & Links:
- Friederike Probert zur Quote von 30 Prozent Frauen auf den Bühnen des BVDW: „Ich bin kein Freund davon, eine Frau nur deshalb in die erste Reihe zu schieben, weil sie eine Frau ist.„
- Iris Bohnet: What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann. C.H. Beck 2018*
*Amazon-Link. Ihr wisst: Wir finden den örtlichen Buchhandel super. Falls es aber online sein soll, könnten wir über eure Bestellung hier ein paar Cent mitverdienen. Wäre doch cool;-)