Dass Macht Menschen verändert, haben wir alle schon erlebt. Dass diese Veränderungen im Gehirn nachweisbar sind, ist dagegen etwas Neues. Dacher Keltner, Psychologieprofessor an der UC Berkeley, verbrachte 20 Jahre damit, die Auswirkungen von Macht zu studieren.
Er fand heraus: Wer Macht hat, verhält sich wie ein Mensch nach einem Hirntrauma: impulsiver, risikobereiter und vor allem weniger in der Lage, die Welt aus der Warte eines anderen Menschen zu sehen (Keltner et al., 2003)
Jeremy Hogeveen und Kollegen (2014) entdeckten mithilfe von Magnetstimulationen einen Unterschied in den Gehirnen von mächtigen und weniger mächtigen Probanden: Das „Spiegeln“ war beeinträchtigt, also die unbewusste Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.
Keltner (2017) nannte dies das Power Paradox (Machtparadox): Genau die Fähigkeiten, die einen Menschen erfolgreich (soll heißen: mächtig) machen, gehen verloren, wenn er an die Macht kommt.
Probleme mit dem Perspektivwechsel
Galinski und Kollegen (2006) testeten in fünf Experimenten die Hypothese, mächtige Individuen seien zu sehr in ihrer eigenen Perspektive verhaftet und hätten Schwierigkeiten, die Sicht anderer Menschen wahrzunehmen.
Beim ersten Experiment sollten die Probanden sich selbst ein „E“ auf die Stirn malen. Vorher sollte ein Teil der Gruppe sich an ein Ereignis erinnern, in dem sie viel Macht hatten – der andere Teil an ein Ereignis, bei dem sie sich machtlos fühlten. Die meisten „Mächtigen“ malten ihren Buchstaben so, wie sie ihn selbst lesen würden – mit drei mal so hoher Wahrscheinlichkeit wie diejenigen, die wenig Macht hatten. Letztere malten das „E“ eher so, dass ein Gegenüber es lesen kann. Die „Mächtigen“ agierten also selbstbezogener.
Erkenntnisse der weiteren Studien: Je mehr Macht sie haben, desto eher nehmen Menschen an, dass andere so denken wie sie. Und Macht kann Empathie hemmen, also die Fähigkeit, den Gefühlsstatus anderer Menschen wie Glück, Traurigkeit, Angst oder Wut wahrzunehmen.
Dies könnte unsensibles oder arrogantes Verhalten von Top-Führungskräften erklären: das Victory-Zeichen von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann während seines Prozesses wegen Untreue oder die „Peanuts“-Bemerkung seines Vorgängers Hilmar Kopper zum 50-Millionen-Mark-Schaden, den der Bankrott des Baulöwen Jürgen Schneider vielen Handwerksbetrieben bescherte.
Empathiemangel
Ewan Carr und Kollegen (2014) fanden außerdem heraus, dass Mächtige aufhören, andere nachzuahmen. Sie lachen nicht mehr, wenn andere lachen und sind nicht angespannt, wenn andere angespannt sind. Normalerweise tun wir Menschen das – wir empfinden dieselben Gefühle wie andere und können dadurch Verständnis für sie entwickeln. Indem Mächtige aufhören, die Erfahrungen anderer zu simulieren, entwickeln sie ein Empathiedefizit.
Ähnlich ist es mit dem Spiegeln, allerdings läuft dieser Prozess unbewusst ab. Wenn wir sehen, wie jemand etwas tut (zum Beispiel einen Ball zusammendrückt), wird der Teil in unserem Gehirn aktiviert, den wir für diese Handlung benutzen würden. Im Experiment funktionierte dies bei den „mächtigen“ Probanden schlechter.
Was können sie dagegen tun? Nichts, fanden Naish und Obhi (2015) später heraus. Die Fähigkeit zu spiegeln ist nicht bewusst beeinflussbar.
Nebeneffekte im Zaum halten
Vermutlich ist die verminderte Fähigkeit zu Perspektivwechsel und Empathie eine automatische Folge von Machtfülle. Um es positiv zu sehen: Sie könnte auch ein Weg sein, um zu priorisieren, also inmitten vieler Verantwortlichkeiten die wichtigsten Aufgaben herauszufiltern.
Die Forschung zeigt: Macht schärft die Fähigkeit, periphere Informationen auszublenden. Susan Fiske, Psychologieprofessorin in Princeton, hat überzeugend dargelegt (1996), dass Menschen mit Macht weniger Interesse an tiefergehenden Informationen über andere haben und anfälliger für Stereotype sind. Im Geschäftsleben ist das oft hilfreich und effizient. Der unschöne Nebeneffekt: Abstumpfung im sozialen Leben.
Andererseits verringert Macht auch die Notwendigkeit, menschliche Gefühle nuanciert wahrzunehmen – denn Macht gibt uns die Befehlsgewalt über Ressourcen, die wir früher durch soziale Kompetenzen mühsam erst beschaffen mussten.
Dennoch sollten mit Macht versehene Menschen lernen, bewusst Verantwortung für ihre Untergebenen zu übernehmen und ihre eigenen egozentrischen und zerstörerischen Anteile im Zaum zu halten. Am einfachsten ist es, sich ab und zu mal nicht mächtig zu fühlen. Einfach mal runterkommen – und den Müll rausbringen wie jeder andere auch.
P.S.: In neuen Formen der Zusammenarbeit mit geteilter Führung und Selbstführung kann eine Machtfülle mit derart üblen Auswirkungen gar nicht erst entstehen.
Quellen:
- Carr, E. W., Winkielman, P., & Oveis, C. (2014). Transforming the mirror: power fundamentally changes facial responding to emotional expressions. Journal of Experimental Psychology: General, 143(3), 997.
- Galinsky, A. D., Magee, J. C., Inesi, M. E., & Gruenfeld, D. H. (2006). Power and perspectives not taken. Psychological science, 17(12), 1068-1074.
- Hogeveen, J., Inzlicht, M., & Obhi, S. S. (2014). Power changes how the brain responds to others. Journal of Experimental Psychology: General, 143(2), 755.
- Keltner, D., Gruenfeld, D. H., & Anderson, C. (2003). Power, approach, and inhibition. Psychological review, 110(2), 265.
- Keltner, D. (2017). The Power Paradox: How we gain and lose influence. Penguin.
- Naish, K. R., & Obhi, S. S. (2015). Self-selected conscious strategies do not modulate motor cortical output during action observation. Journal of neurophysiology, 114(4), 2278-2284
- Fiske, S.T. & Dépret, E. (1996). Control, interdependence and power: Understanding social cognition in its social context. European review of social psychology, Vol. 7, 31-61