
Wie du als Introvertierte:r mit Druck im Job besser umgehen kannst
Immer wieder heißt es in der Bubble der Persönlichkeitsentwicklung: »Du musst raus aus deiner Komfortzone!« Sich ständig außerhalb seiner Komfortzone zu bewegen, bedeutet allerdings auch: Stress. Besonders Introvertierte sollten darauf achten, dass sie sich genug Raum schaffen, um ihre Stärken zu nutzen, weiß unsere Gastautorin Sylvia Löhken.
Der Arbeitstag steckt voller Situationen, die gerade uns Intros besonders fordern. Während Extros mühelos durch den Tag surfen (oder wenigstens so aussehen), sind wir am Abend oft völlig platt. Das liegt nicht daran, dass wir weniger leistungsfähig sind: Unsere Batterien entladen sich in bestimmten Situationen einfach schneller – und sie laden sich auch anders wieder auf.
Drei typische Stress-Situationen für Introvertierte
Der offene Großraum: Ständige Geräusche, Gespräche und visuelle Reize – was für Extros stimulierend wirkt, belastet uns. Die ständige Reizüberflutung zehrt an Intro-Energiereserven und macht konzentriertes Arbeiten zur Herausforderung.
Meetings ohne Ende: Ein vollgepackter Kalender mit Meeting nach Meeting raubt uns die Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten. Besonders schwierig wird es bei spontanen Brainstorming-Runden, wo schnelle Reaktionen gefragt sind, während wir unsere besten Ideen oft erst nach etwas Bedenkzeit entwickeln – und in Ruhe!
Gefahrenmomente: Dein Nicht-Lieblingskollege nimmt deinen Vorschlag vor den anderen im Team auseinander und du fühlst dich in deinem Sicherheitsbedürfnis heftig gebeutelt.
Erkennst du dich wieder? Hier einige Rezepte, die sich bewährt haben. Viele von ihnen nutze ich selbst.
Was wirklich hilft – Praktische Strategien für den Alltag
1. Schaffe dir Ruhezonen
Plane bewusst »stille Zeit« in deinen Tag ein – und Pausen:
- Reserviere die ersten 30 (oder 60!) Minuten am Morgen für fokussierte Arbeit, bevor du E-Mails öffnest.
- Blockiere Mittagspausen fest im Kalender – und verbringe sie in ruhiger Umgebung. Das kann ein Spaziergang allein sein, oder zum Beispiel auch ein schönes Gespräch mit einer Kollegin.
- Nutze Kopfhörer (auch ohne Musik – Noise-Cancelling nutzen!), um Ablenkungen zu reduzieren und ein »Bitte nicht stören«-Signal zu senden.
2. Gestalte Meetings erträglich
- Bitte um Agenden im Voraus, damit du dich vorbereiten kannst. (Die sollten nicht nur eine Anfangs-, sondern auch eine Enduhrzeit haben.)
- Notiere dir Stichpunkte für Themen, die dir wichtig sind. So reduzierst du den Druck, spontan etwas sagen zu müssen.
- Nimm dir Raum und dafür Druck weg! Ein »Ich sehe in meinen Kalender und melde mich morgen bei dir« ist völlig legitim, bevor du eine zusätzliche Verpflichtung eingehst, die nicht sein muss, weil du dich bedrängt fühlst.
- Plane nach längeren Meetings bewusst eine kurze Erholungsphase ein.
3. Denke in Energieeinheiten
Achte auf dein Energielevel wie auf einen Akku:
- Beobachte, welche Situationen dir Energie rauben und welche dir Energie geben.
- Plane energiezehrende Termine nicht in einem zu engen Zeitfenster, sondern verteile sie.
- Lege dir »Energiespender« zurecht. Ein kurzer Spaziergang, fünf Minuten Meditation oder einfach ein Moment am Fenster können Wunder wirken. Manchen Intros hilft auch ein Online-Puzzle.
- Sei ehrlich zu dir selbst: Manchmal ist es besser, früher aufzuhören, als erschöpft länger zu bleiben.
Noch mehr Tipps für Introvertierte in:
Leise Menschen – starke Worte
DAS KOMMUNIKATIONSTRAINING FÜR INTROVERTIERTE PERSÖNLICHKEITEN
4. Kommuniziere deine Bedürfnisse
Lerne, für deine Bedürfnisse einzustehen – die Extros leben ihre doch auch!
- Nimm dir, was du brauchst – sage Kollegen und Vorgesetzten, wie du am besten arbeitest: »Lass mich in Ruhe darüber nachdenken – ich mache bis Freitag mal einen ersten Entwurf.« Manche Intros kommunizieren auch smart, wann sie für Rücksprachen erreichbar sind…
- Schlage Alternativen vor: »Lasst uns doch mal per Menti Lösungsvorschläge sammeln. Dann haben wir 100 Prozent ehrliche Rückmeldung.«
- Betone den Nutzen: »Ich gehe mal in den leeren Konferenzraum. Da kann ich das Konzept deutlich schneller abschließen.«
5. Schaffe Sicherheit durch Struktur
- Plane deinen Tag realistisch – mit Pufferzeiten zwischen Terminen.
- Entwickle Routinen für wiederkehrende Situationen.
- Bereite dich auf herausfordernde Gespräche vor. Das gibt dir Sicherheit.
Last but not least: Die introvertierten Teile deiner Persönlichkeit machen dich nicht schwach, sondern stark. Tiefgründiges Denken, genaues Beobachten und Hinhören und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen: Das sind wertvolle Qualitäten. Und ja, genau die helfen dir auch, im Beruf erfolgreich zu sein. Auf deine Weise!

Unsere Autorin Sylvia Löhken
Dr. Sylvia Löhken ist einem breiten Publikum als Expertin für intro- und extrovertierte Kommunikation bekannt. Sie hilft Menschen, sich selbst und andere besser zu verstehen und mit dem, was sie sind, erfolgreich zu sein: an Hochschulen und Forschungsinstituten, in Führungsetagen und auf Kongressen, in Konferenzräumen und im Zusammenleben mit anderen. Sylvia Löhkens Ausgangsfrage ist: Wie gestalten wir unser Leben am besten als die Persönlichkeiten, die wir sind? Das Thema Gespräche treibt sie dabei schon lange um. Ihre Bücher über intro- und extrovertierte Kommunikation sind mit 25 Sprachen und über 500.000 verkauften Exemplaren internationale Bestseller. Sie trugen entscheidend dazu bei, den »kleinen Unterschied« zwischen Intro- und Extrovertierten zu etablieren. Sylvia Löhken arbeitet weltweit als Coach, Trainerin und Rednerin.
Foto: Uwe Klössing/Ben Schulz&Partner AG