Durch Zufall hörte ich einen Vortrag über Arbeitsrecht. Ein Anwalt sprach über befristete Arbeitsverträge, verfallende Urlaubsansprüche, Teilzeit und wie man sie abwendet. Er vertrat vornehmlich die Arbeitgeberseite und das merkte man. Das Thema war nicht uninteressant. Aber je länger der Vortrag dauerte, desto unwohler fühlte ich mich. Ich spürte, wie ich immer mehr Energie verlor.
Im Nachhinein frage ich mich, was da los war. Diese Geschichten rund ums Arbeitsrecht haben mich irgendwie getroffen. Zum einen, weil ich selbst öfters damit zu tun hatte. Ich musste auch mal eine Anwältin beauftragen, um ohne Nachteile aus einem Arbeitsverhältnis herauszukommen. Andererseits habe ich auch schon mal jemanden entlassen – kenne also beide Seiten.
Wenn es ums Arbeitsrecht geht, kommt man gerade aus Arbeitgebersicht schnell in diese Haltung: Wie kriege ich es hin, jemandem möglichst wenig zu zahlen? Und ihn oder sie möglichst viel dafür arbeiten lassen? Wie werde ich Menschen los, wenn sie nicht tun, was ich will? Arbeitnehmer*innen als faule Abzocker*innen – das ist ein krasses Menschenbild. Sicher gibt es solche Leute. Dass man sich als Arbeitgeber nicht verarschen lassen will, ist klar. Ich verstehe auch, dass man zynisch wird, wenn man solche Fälle öfter erlebt hat. Zynismus ist wohl eine Gefahr in jedem Job, bei dem man Menschen und ihren Abgründen begegnet.
Kleinkrieg durch Verletzungen
Aber wenn man in einem Arbeitsrechtsstreit beide Seiten anhört, sind es oft tiefe Verletzungen, die dahinterstecken. Ich unterstelle mal, dass die meisten Menschen ihre Arbeit lieben und – gerade in Deutschland – sich ganz stark darüber definieren. Bis jemand an den Punkt kommt zu sagen „Ich nehme jetzt von diesem Arbeitgeber alles mit, was ich kriegen kann, und nach mir die Sintflut“, muss viel passieren. Nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich.
Die größten Kämpfe laufen innerlich ab. Ich hab so viele innere Dialoge mit meinen Oberhäuptlingen und Kolleg*innen geführt, die es nicht nach außen geschafft haben. Weil es gar keine Sprache dafür gab, keine gemeinsame Ebene, kein Vertrauen – und keine Hoffnung, dass sich etwas ändert. Wirklich darüber zu reden, was im Unternehmen falsch läuft, hätte eines Seelenstriptease bedurft, zu denen viele (inklusive mir) nicht bereit waren. Weil die Bedingungen dafür nicht da waren. Wir hätten unsere Masken abnehmen müssen – und das geht nur, wenn man weiß, dass alle Waffen ruhen. (Sorry für den Militärsprech, hehe.) Und es lohnt sich nur, wenn man bereit zur Revolution ist.
Sicherlich haben es auch Arbeitgeber nicht leicht, sicher gibt es auch kaltschnäuzige Abzocker*innen unter den Arbeitnehmer*innen. Aber das dürften die wenigsten sein. Die meisten Menschen wollen in ihrem Arbeitsverhältnis ein Geben und Nehmen. Ihr Beitrag soll geschätzt und fair entlohnt werden – und damit meine ich nicht nur Geld. Wenn dieses Gleichgewicht in Schieflage gerät, kann es hässlich werden. Dann wird kompensiert, wo es nur geht. Und ist das Vertrauen erst mal zerstört, ist es unmöglich wiederherzustellen.
Paragraphen statt Diskussion
Beim Thema Arbeitsrecht fehlte mir genau das, worüber ich hier im Blog schreibe: die menschliche Seite. Menschen haben Regeln und Gesetze geschaffen, um Willkür zu verhindern und Gerechtigkeit herzustellen. Schon klar. Aber auch, um sich nicht persönlich miteinander auseinandersetzen zu müssen. Ich verstehe das ja, dieses Bedürfnis, nicht ewig über etwas diskutieren zu wollen. (Das ist einer der Gründe, warum ich mittlerweile so wenig gruppentauglich bin.) Es kann verlockend sein, einfach ein paar Paragraphen rauszuholen und sie jemandem um die Ohren zu hauen. Aber es ist eben ein Hauen.
Genau deshalb zeichnen sich die Unternehmen, die Augenhöhe praktizieren, durch eine hochentwickelte Diskussionskultur aus. Das ist mir auch bei meinem Besuch bei Wigwam extrem aufgefallen. Soll heißen, wenn man verhindern will, dass man in eine „Wir gegen die“-Energie kommt, muss man Kommunikation ermöglichen. Wir müssen herausfinden, was wir wirklich, wirklich meinen. Das ist manchmal verdammt schwer. Selbst mit Menschen, die ich schon lange und gut kenne, komme ich manchmal in Tiefen, wo wir merken, dass wir seit Ewigkeiten aneinander vorbeigeredet haben.
Miteinander reden
Ganz konkret: Wenn ein Arbeitnehmer Teilzeit beantragen will, lohnt es sich, statt ihm direkt ein rechtssicheres Formular hinzuknallen, erst mal darüber zu reden. Warum? Was steckt dahinter? Was ist der eigentliche Wunsch? Vielleicht ist es ganz banal – vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist die Führungskraft ein Arschloch, das man nur halbtags ertragen kann. Aha! Da geht es also um etwas ganz anderes, das sollte man sich mal genauer anschauen.
Ich weiß schon, dafür ist gerade in einer HORG keine Zeit. Vielleicht ist das auch wieder rechtlich problematisch, vielleicht hat der Arbeitgeber gar kein Recht, nach Gründen zu fragen. Vielleicht will der Arbeitnehmer seine Gründe für den Teilzeitantrag gar nicht offenbaren. Und da sind wir wieder beim Vertrauen. Wenn so wenig Vertrauen herrscht, wieso arbeitet man dann überhaupt miteinander? Warum umgibt man sich freiwillig mit Menschen, denen man nicht über den Weg traut? Das ist doch pervers. Und ungesund.
Der Anwalt sagte noch einen Satz, der bei mir reinknallte wie ein Sektkorken aufs Auge:
In einem Arbeitsverhältnis gibt es keine Freiwilligkeit.
Mit anderen Worten: Wer einen Arbeitsvertrag unterschreibt, macht sich zum Sklaven. Schon klar, ein paar wohltuende Unterschiede gibt es schon zwischen Lohnsklaven und echten Sklaven. Den Lohn zum Beispiel. Und den Vertrag. ???? Aber im Ernst: Der Ökonom und Philosoph Philip Kovce schreibt:
Vertrag aus Angst
Allein schon einen Vertrag eingehen zu müssen, hat etwas Perverses. Denn es bedeutet: Ich vertraue Dir nicht. Verträge basieren auf Angst. Als Freiberuflerin habe ich so gut wie keine Verträge. Die meisten Aufträge laufen per Handschlag oder es werden Absprachen per E-Mail getroffen.
Das funktioniert. Beide Seiten wissen, wir können uns jederzeit voneinander trennen. Wir arbeiten zusammen, weil wir es wollen. Sonst lassen wir es. Das bedeutet auch, dass mein Bauchgefühl einwandfrei funktionieren muss, um Schaden von mir abzuwenden. (Bei Menschen unter chronischem Stress funktioniert dieser innere Kompass schlecht bis gar nicht – auch das ist sicher ein Grund, warum so viele Verträge geschlossen werden.)
Ich versuche, bei meinen Kunden so wenig wie möglich zu unterschreiben. Manchmal muss ich das wegen Datenschutzbla. Einmal habe ich für einen Konzern gearbeitet und hatte heftige Datenschutzvorgaben. Da ich gelegentlich eine Subunternehmerin beschäftigte, kam ich auf den Gedanken, dass ich sie einen Vertrag unterschreiben lasse, in dem ich auch den Datenschutz unterbringe. Einfach, um mich abzusichern.
Ich setzte also einen Vertrag auf über die „freie Zusammenarbeit“ zwischen ihr und mir. Je länger ich an dem Vertrag herumfeilte (MAXIMALE Absicherung! Inklusive Vertragsstrafe!), desto schlechter fühlte ich mich. Plötzlich wurde mir klar, was alles schiefgehen konnte und wie verletzlich einen so eine Kooperation macht. Ich badete in Angst. War ich eigentlich wahnsinnig, überhaupt mit jemandem zusammenzuarbeiten? Und auch noch ohne Vertrag?! Das Pamphlet wurde immer länger …
Gleichzeitig bekam ich immer mehr das Gefühl, dieser Vertrag könnte das Ende unseres freien Zusammenarbeitens bedeuten. Weil ich meine Subunternehmerin auf einmal zu Dingen zwingen wollte, die sie doch eh freiwillig zu leisten bereit war.
Ich musste abwägen. Die größte Frage war: Wie paranoid bin ich? (Spoiler: Verdammt paranoid. ???? ) Aber irgendwas sagte mir, dass sie diesen Vertrag vielleicht gar nicht unterschreiben würde. Oder dass sie ihn unterschreiben würde, wir danach aber nicht mehr zusammenarbeiten könnten. Ich hörte auf mein Bauchgefühl und verschob den Vertragsentwurf in den Papierkorb. Sollte es noch mal einen ähnlichen Auftrag geben, werde ich mit ihr das Datenschutzthema durchsprechen.
An dieser Stelle sterben Jurist*innen wahrscheinlich einen kleinen Tod. ???? Aber es funktioniert. Man kann sich dafür entscheiden, Dinge anders zu machen. Das Wort „Vertrag“ kommt von „sich vertragen“ – und dafür braucht man meistens keine Unterschrift.
Wirtschaft hacken
Ein Beispiel: Uwe Lübbermann und das Premium-Cola-Kollektiv verkaufen seit 17 Jahren ihre Limo an diverse Händler und Festivals – ohne einen einzigen Vertrag. Uwe und sein Team beweisen, dass man Wirtschaft auf vielen Ebenen hacken kann. Und das scheint mir auch wirklich nötig.
(Der Anfang des Vortrags ist etwas techniklastig, bitte davon nicht abschrecken lassen. Ab Minute 3:00 geht’s richtig los.)