Nachhaltigkeit wird endlich ein Thema in der Wirtschaft. Aber reicht es, mittels Regularien und Gesetzgebung das Wirtschaften nachhaltiger zu machen? Oder muss Nachhaltigkeit in Unternehmen nicht auch zu einer Haltung des Individuums werden?
Am Morgen mit dem Flugzeug von Berlin nach München und abends wieder zurück? Das war vor der Pandemie ein normales Szenario in Unternehmen. Für eine Besprechung nach China fliegen? Aber sicher! Die Begründung: Man müsse präsent sein. Was für ein Aufwand, wie hoch die Emissionen. Mit der Pandemie und den Beschränkungen fiel die Präsenzpflicht plötzlich weg, wir fanden uns vor den Bildschirmen ein und bemerkten: So geht es auch.
Back to Business?
Trotzdem haben wir nach dem Ende der Coronakrise eine Rolle rückwärts gemacht. 2022 waren die weltweiten Ausstöße an Treibhausgas wieder auf einem ähnlichen Niveau wie zu Beginn der Covid-19-Pandemie. Das zeigt der „Global Carbon Budget 2022„-Report, der in jedem Jahr die CO2-Emissionen des aktuellen Jahres kommuniziert. Einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen sind die fossilen Brennstoffe, deren Werte 2022 sogar über dem Niveau lagen, wie sie vor der Corona-Pandemie waren. Die Ursache liegt laut den Forschenden vor allem im Flugverkehr, der nach der Krise wieder zugenommen hat. Also alles wie gehabt?
Ein eigener Fuhrpark ist nicht mehr zeitgemäß. Gleichzeitig wissen Manager:innen, dass sie ihre Führungskräfte nicht mit der Bahncard 100 abspeisen können.
Natalie Kuba
Nein, denn es gibt auch einen Gegentrend. Tatsächlich scheinen sich immer mehr Unternehmen mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu beschäftigen. Das hat zum einen mit dem Druck vonseiten der Politik zu tun, die mit Regulierungen und gesetzlichen Vorgaben wie der EU-Taxonomie, der CSRD-Berichtspflicht oder dem Lieferkettengesetz eine nachhaltige Wirtschaftsweise erwirken möchte. Doch auch der Druck von Medien und Konsument:innen nimmt zu. Sie alle schauen wie durch ein Brennglas auf Organisationen und fragen zunehmend: Wie sieht Nachhaltigkeit in Unternehmen aus? Was machen sie jeweils heute schon anders, um die Klimakrise zu bewältigen?
Die Zielgruppe macht Druck in Sachen Nachhaltigkeit
Dass das Erfüllen von gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht alles sein kann, ist klar. Zu groß sind die Schlupflöcher. So sind laut der oben erwähnten EU-Taxonomie Atomkraft und Erdgas als umweltverträglich einzustufen. Really? Es ist deshalb wichtig, dass Unternehmen, die sich Klimafreundlichkeit und Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, grundsätzlich mit Nachfragen und Kritik rechnen müssen. So hat die US-Börsenaufsicht SEC die Vermögensverwaltung DWS, eine Fondstochter der Deutschen Bank, zu einer Strafe von 25 Millionen Dollar verurteilt. Grund: Eine nicht ausreichende Geldwäschekontrolle und Falschangaben zu „grünen“ Kapitalanlagen. Aber Greenwashing geht auch eine Nummer kleiner: etwa, wenn Kleidung und Sportartikel als nachhaltig beworben werden – obwohl sie es nicht sind.
Wegen der Wachsamkeit unserer Gesellschaft sind Unternehmen – bevor sie den Trend des Greenwashings überhaupt richtig ausnutzen konnten –, bereits aufgeflogen. Medien und mit ihnen die Konsument:innen haben ein Auge auf Nachhaltigkeitskampagnen, scheinbar nachhaltige Verpackungen und die zahllosen Bio- und Ökosiegel. Es wird in Zukunft nicht mehr leicht möglich sein, in der Außendarstellung die Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu zelebrieren und bei Lieferketten sowie innerhalb der Organisation so weiterzumachen wie bisher. Aktuell steht ein BMW-Zulieferer in der Kritik, dessen Lieferanten in Marokko scheinbar gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen. Auch hier wird eine unabhängige Prüfung gefordert, um das deutsche Lieferkettengesetz in die Praxis umzusetzen.
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Klassische Statussymbole geraten ins Wackeln
Continental, Allianz und BASF: Laut einem Handelsblatt-Bericht verzichten immer mehr Konzerne auf Geschäftsflüge und haben die Reiserichtlinien für Mitarbeiter:innen entsprechend angepasst. Auch der klassische Fuhrpark wird infrage gestellt. Neben dem Erreichen der Klimaziele spielen hier natürlich auch die gestiegenen Energiekosten eine Rolle. „Ich erlebe aktuell in einigen Unternehmen, dass es an die klassischen Statussymbole geht“, erzählt Natalie Kuba, Organisationsentwicklerin und Beraterin für Nachhaltigkeit. „Teams für Organisationsentwicklung oder auch Nachhaltigkeitsberater:innen wie ich bringen den Fakt in die Unternehmen, dass ein eigener Fuhrpark nicht mehr zeitgemäß ist. Gleichzeitig wissen die Manager:innen, dass sie ihre Führungskräfte nicht mit der Bahncard 100 abspeisen können“.
Bisher galten der Firmenwagen und der Überseeflug als Statussymbole. Können Unternehmen stattdessen jetzt das Betriebsfahrrad zum Statussymbol ernennen? Oder geht mit einem Statussymbol nicht auch immer einher, dass es schwer zu erreichen und deshalb etwas Besonderes ist? Was könnte die bisherigen Statussymbole also ablösen?
Nachhaltigkeit als Statussymbol braucht Authentizität
Aktuell beschäftigten sich Organisationen damit, Geschäftsmodelle zu transformieren. Alles kommt auf den Tisch und wird hinterfragt. Dabei geht es erstmals wirklich um Authentizität: Nur wenn die Nachhaltigkeit im Unternehmen gelebt wird, ist die Transformation möglich. Bahn statt Firmenauto, Teamentwicklung in der Uckermark statt auf Ibiza, vegane Häppchen für die Produktpräsentation…
Die Transformation bleibt in letzter Instanz immer Inner Work, ein Abprüfen der eigenen Werte und Prioritäten.
Christiane Kürschner
Die Transformation reicht aber noch tiefer, denn es braucht auch eine echte Veränderung in der Organisationskultur. Führungskräfte werden nur auf Statussymbole wie die Rolex und den teuren Anzug verzichten, wenn sie nicht mehr das Gefühl haben, sie als Zeichen des Status vorzeigen zu müssen. Man könnte ganz vorsichtig behaupten, dass es in den patriarchalen Machtstrukturen, in denen wir nach wie vor leben, vielen (Männern) noch immer notwendig erscheint, Macht und Ansehen zu spiegeln. Nicht jede:r arbeitet für ein Start-up im Prenzlauer Berg.
Die Transformation bleibt also in letzter Instanz immer Inner Work, ein Abprüfen der eigenen Werte und Prioritäten. Die Hoffnung: Wenn sich die wirtschaftlichen Strukturen durch Regulationen verändern und sich die Unternehmen in die Transformation begeben, erhalten auch immer mehr Menschen in diesen Organisationen den Raum, neue Perspektiven einzunehmen. Es ist ein Zug-um-Zug-Verfahren.
Nachhaltigkeit gehört in die DNA von Unternehmen
Im besten Fall sind jene Unternehmen die Gewinnerinnen, die die Transformation zu einer nachhaltigen Organisation komplett durchgespielt haben. Einen interessanten Weg in diese Richtung hat das Berliner Unternehmen Dark Horse eingeschlagen. Gemeinsam mit anderen Organisationen hat es eine betriebliche Klimavorsorge eingeführt. Nun können Mitarbeitende ihren privaten CO2-Fußabdruck mithilfe des Arbeitgebers ausgleichen. Die Kosten teilen sich beide Parteien 50:50. Für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks und die Organisation der Klimavorsorge nutzen sie eine App. Über diese werden ihnen auch Projekte vorgeschlagen, worüber sie entstandene Emissionen kompensieren können.
Nachhaltigkeit wird in Zukunft ein strategischer Imperativ sein. Um es mal wieder ganz platt provokant zu formulieren: Welche Organisation das heute nicht erkennt, hat morgen kaum noch Arbeitsplätze anzubieten.
Fried Große-Dunker / Dark Horse
Dark Horse möchte mit der betrieblichen Klimavorsorge nicht nur klimaneutral, sondern auch klimapositiv wirtschaften. Deshalb ist das Team gemeinsam mit anderen Berliner Unternehmen dabei, eine Partnerschaft mit Benedikt Bösel aufzubauen, der in Brandenburg einen Hof mit regenerativer Landwirtschaft betreibt. Dort soll das Kompensationsbudget von Dark Horse und anderen eingesetzt werden, um beispielsweise emissionsschluckende Projekte zu unterstützen.
Das System der betrieblichen Klimavorsorge ist für alle Seiten ein Win-Win: Nachhaltigkeit findet ihren Weg in die DNA des Unternehmens, Mitarbeitende erhalten einen Anreiz, ihren persönlichen Fußabdruck grüner zu gestalten, und die Unternehmen selbst stärken ihr Employer Branding. Denn, so formuliert es der Co-Founder von Dark Horse Fried Große-Dunker an dieser Stelle: „Nachhaltigkeit wird in Zukunft ein strategischer Imperativ sein. Um es mal wieder ganz platt provokant zu formulieren: Welche Organisation das heute nicht erkennt, hat morgen kaum noch Arbeitsplätze anzubieten.“
Teil der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit sein
Gelingt es, dass Unternehmen uns einen Weg zu einem nachhaltigeren Leben zeigen, könnte es ein Statussymbol werden, für eine solche Organisation arbeiten zu dürfen. „Wenn ich heute eine Person aus dem C-Level-Management frage, welche Rolle sie im Unternehmen hat, ist die Antwort zumeist die Berufsbezeichnung“, so Natalie Kuba. Das Ziel aber sollte es ihrer Meinung nach sein, dass Menschen eine Antwort wie diese wählen: „Ich bin in diesem Unternehmen Teil der Transformation hin zu einer regenerativen Wirtschaft.“
Vielleicht reicht es dann schon, seine Arbeitskraft für die ethischen Zwecke dieser Brand einzusetzen – und es braucht gar keinen Ersatz für die S-Klasse.