Dr. Dorothée Ritz, 42, ist General Manager Consumer & Online und Teil der Geschäftsleitung bei microsoft Deutschland. Jeden Abend um sechs verlässt sie das Büro, um mindestens eine Stunde mit ihren beiden Kindern zu verbringen. Im Interview erklärt sie, wie sie die Bedingungen dafür geschaffen hat – und warum sie Spezialseminare für Frauen ablehnt.
Frau Ritz, auf einem Video von der CeBit sieht man, wie die junge Moderatorin alle am Microsoft-Stand duzt. Auch Sie. Darf die das?
Ja, wir duzen uns alle. Wir haben eine interne Firmenpolitik, die besagt, dass man vom Tag Eins an jeden duzt, inklusive den Geschäftsführer.
Und wie geht umgekehrt die Geschäftsführung mit jungen Frauen um: Gibt es spezielle Karriereprogramme?
Microsoft guckt sich sehr genau an, welchen Frauenanteil wir insgesamt in der Organisation haben, wie viele Frauen davon in Personalverantwortung sind, und klar wird bei Bewerbungen drauf geachtet, dass in der Pipeline immer Frauen sind. Aber es gibt bei Microsoft keinen Kurs, der „Frauen im Management“ heißt oder „Wie setze ich mich gegen meinen männlichen Kollegen durch“. Das ist reines Klischee.
Apropos: Die Klischees über Vorstandssitzungen gehen von Herrenwitzen bis zum Stripclubbesuch. Ist Ihnen so etwas jemals untergekommen?
Klar gibt es lustige Begebenheiten, weil es dort einfach sehr männlich zugeht. Ich bin schon auf vielen Sportveranstaltungen gewesen, um die sich Männer wahrscheinlich gerissen hätten, Boxkämpfe, Autorennen oder Fußball. Das hätte ich nicht unbedingt als Business Venue ausgesucht. Wenn man sich mit den Damen unterhält, hört man durchaus von Meetings, wo ein Deal dann in einem Stripclub gefeiert wurde, das ist vor allem bei Geschäftsabschlüssen in Asien nicht ungewöhnlich. Ich habe das selbst nie erlebt, aber ich würde es wahrscheinlich mit Humor sehen.
Wählen Frauen nicht nur Besprechungsorte, sondern auch Karrierestrategien anders aus als Männer?
Frauen machen sich von vornherein mehr Gedanken darüber, wie man zu irgendeinem Zeitpunkt Familie und Beruf unter einen Hut bringt und ob es etwas gibt, was sie schon beim Karriereanfang miteinbeziehen müssen. Ich sage da immer: Nur Mut! Viele Dinge ergeben sich erst im Verlauf eines Berufslebens, das ist zumindest meine Erfahrung. Ich konnte es mir bis zu dem Zeitpunkt, wo die Kinder da waren, sehr schwer praktisch vorstellen, wie das eigentlich alles laufen kann.
Wie kann es denn laufen?
Ich denke, ganz wichtig ist, dass man begeistert ist von dem, was man beruflich macht. Das sollte nicht überlagert werden von anderen Dingen und praktischen Überlegungen. Man muss sich darauf einstellen, dass eine Karriere nicht nur geradelinig nach oben gehen kann, da gibt es Seitenschritte, das ist für Männer und Frauen gleich. Davon darf man sich nicht unterkriegen lassen, da muss muss man beherzt herangehen. Und oft einfach anfangen. Wir überlegen zu lange. Frauen überlegen zu grundlegend, ob sie etwas können oder wirklich wollen. Da kann ich nur sagen: Nur Mut, das ergibt sich schon auf dem Weg.
Ist es das, woran Frauen scheitern: Sie denken zu viel nach?
Eine grundlegende Eigenschaft, wenn man davon überhaupt sprechen kann, ist dieses sehr Selbstkritische. Es gibt in der Arbeitswelt die Redensart: Männer schreien einfach mal „hier!“, auch wenn sie nur zehn Prozent der Stellenbeschreibung erfüllen, während Frauen, die sie zu 90 Prozent erfüllen, sich immer noch weiterentwickeln wollen, bis sie zu 100 Prozent auf das Jobprofil passen. Dann ist der Job natürlich längst weg. Frauen sollten viel aggressiver auf Angebote eingehen. Da sind die Männer in der Tat einfach sportlicher. Die sehen das wie einen sportlichen Wettkampf.
Wie haben Sie gelernt, einfach mal „hier!“ zu schreien?
Erstens hatte ich immer Mentoren in der Firma, entweder Chefs oder Leute mit sehr viel Berufserfahrung. Sie haben mir unter anderem mit auf den Weg gegeben: Wenn man etwas interessant findet, soll man sich einfach auf Stellen bewerben, bei denen man für den Augenblick noch Fragezeichen im Kopf hat, ob man das auch wirklich schon alles kann. Weil am Ende des Tages Leute eingestellt werden, die zu 60 bis 80 Prozent auf ein Jobprofil passen. Niemand geht davon aus, dass ein Bewerber es zu 100 Prozent erfüllt. Solche Weisheiten habe ich da gelernt. Und das habe ich immer gerne angenommen. Selbstvertrauen lernt man zweitens über die Zeit. Man tritt ja nicht am Tag Eins an und sagt: Ich werde mal CEO.
„Boxkämpfe, Autorennen oder Fußball: Um manche Sportveranstaltung hätten sich Männer wahrscheinlich gerissen“
Klingt aber doch nach einem Plan.
Nun, man sollte sicherlich nicht antreten und sagen: Ich werde nie CEO. Das halte ich auch für falsch. Aber man sollte sagen: Ich bin total begeistert von dieser Business-Idee oder diesem Business-Umfeld, da möchte ich gerne Großes leisten, und ich gehe jetzt mal den ersten Schritt. Und ob es nach oben eine Grenze gibt, das sehen wir dann noch.
Haben Sie im Verlauf Ihrer Karriere Programme genutzt, die speziell auf Frauen zugeschnitten waren?
Nein. Ich hatte immer mal die Gelegenheit, mit einem externen Coach zu arbeiten. Sicherlich kommen dabei mal Charaktereigenschaften zutage, die eher weiblich sind, oder man macht sich Gedanken über die Wirkung in einer männlichen Umgebung. Aber ich glaube, dass man besser daran tut, darüber nachzudenken, welche Fachqualifikationen und Kompetenzen man hat und welche einem noch fehlen, als per se über die Frage, ob man Mann oder Frau ist. Das ist einfach der falsche Ansatz.
Wie stehen Sie dann zu einer Frauenquote?
Ich habe nichts gegen die Quote, aber ich bin auch keine große Befürworterin. Ich würde nicht dafür stimmen. Weil ich grundsätzlich der Überzeugung bin, Frauen sind gut genug, sie haben die Quote nicht nötig. Auf der anderen Seite schadet sie auch nicht. Aber noch viel wesentlicher als eine Quote ist es, dass man ein Umfeld schafft, in dem Frauen erfolgreich sein können. Das hat gerade bei Frauen mit Familie sehr viel mit flexiblem Arbeiten zu tun. Sonst ist die Gefahr groß, dass sie nach der Babypause wieder ins Unternehmen kommen und es nach kurzer Zeit heißt: Siehst du, ich habe es doch gewusst, dass das nicht funktioniert.
Wie kommt man gegen diese Einstellung an?
Ich glaube, viele der Themen kommen gar nicht aus einem Nicht-Wollen oder Ablehnen, sondern aus der Furcht vor dem Ungewissen. Es gibt eben sehr wenige Arbeitgeber in Deutschland, die mit Frauen in Führungspositionen schon sehr viel Erfahrung haben. Ich war vor sechs Jahren hier die Einzige in der Geschäftsleitung. Aber wenn dann die erste und zweite Frau in der Geschäftsleitung ist und es mit der Familie klappt, die Arbeit nicht leidet und das Ergebnis sogar besser wird, dann entsteht Vertrauen.
Wie zeigt sich so ein Vertrauen bei Microsoft?
Microsoft funktioniert komplett nach Zielvereinbarung und stellt ein modernes Arbeitsumfeld zur Verfügung mit der entsprechenden Technik. Mich hat noch nie ein Chef gefragt, wie lange ich an meinem Arbeitsplatz gesessen habe. Das ist denen egal, solange sie von mir das Ergebnis bekommen und merken, dass ich mit dem Team gut arbeite und auch bei den Kunden präsent bin. Ich verbringe durchaus Heimarbeitstage. An einem Tag, an dem ich sechs Telefonkonferenzen nacheinander habe, sehe ich nicht ein, dass ich morgens und abends je eine Dreiviertelstunde zur Arbeit fahre. Und für Microsoft ist das völlig okay.
Nutzen auch Männer diese Möglichkeiten, um sich um ihre Kinder zu kümmern?
Klar ist der überwiegende Anteil nach wie vor weiblich. Aber bei Microsoft ist es kein Karriereknick, wenn ein Mann sagt: Ich mache jetzt mal drei Monate Sabbatical. Wir haben einen Anteil von Männern, die in Elternzeit gehen, es gibt auch Männer in Teilzeit. Das ist heute sehr viel anerkannter als noch vor einigen Jahren.
Kann man denn in Teilzeit eine Führungsposition ausfüllen?
Mit einer 20-Stunden-Woche ist eine Team- und Personalverantwortung schwer zu bewältigen. Strategisch können Sie aber auch mit 20 Stunden in einem Unternehmen sehr viel Wert bringen. Es kommt also darauf an, um welchen Job es geht. Es gibt natürlich auch verschiedene Formen der Teilzeit. 80 Prozent ist sicherlich etwas anderes als 50 Prozent. Teilzeit ist unendlich wichtig, um Leute sanft ins Berufsleben zurückzuholen. Vor der Geburt meines ersten Kindes hatte ich überhaupt kein Gefühl dafür, ob ich schnell wieder zurück will oder langsam, und es ist einfach schön, dass man diesen Einstieg über die Teilzeit machen kann.
Viele Frauen sagen, mit dem ersten Kind haben sie ihr Berufsleben noch im Griff gehabt, aber zwei Kinder machen es fast unmöglich. Was wäre Ihr Tipp?
Das hängt sicherlich stark davon ab, welche Betreuung man sich leisten kann. Zwei Kinder sind öfter krank als eins, exponentiell häufiger gibt es Notfälle. Der einzig gute Weg, um sich auch im Kopf die Freiheit für einen guten Arbeitstag zu schaffen, besteht darin, sich ein Stück weit überzuversorgen. Meine Kinder sind im Kindergarten, sie haben Omas, eine Kinderfrau, und mir ist klar, dass sich das nicht jeder leisten kann, da bin ich sicherlich in einer privilegierten Situation. Aber je mehr man diese Betreuungsverhältnisse hat plus die Möglichkeit, auch von zu Hause aus zu arbeiten, desto besser ist das zu bewältigen.
Und Ihr Mann: Lässt der schon einmal eine Sitzung sausen, wenn die Kinder krank sind?
Ja, das macht er auch. Mein Mann ist ausgesprochen kooperativ und möchte den gleichen Anteil an der Kindererziehung haben. Allerdings ist er Anwalt und beschäftigt sich mit Firmenübernahmen, da ist es irrational zu glauben, dass er noch viel Freizeit hat, wenn er in einer großen Firmenübernahme sitzt. Deshalb haben wir eine Grundstruktur, wo ich erst einmal ohne ihn auskomme. Auf der anderen Seite: Faktisch bringt er zu 80 Prozent die Kinder morgens in den Kindergarten.
Zur Person:
Bei Microsoft Deutschland verantwortet Dr. Dorothee Ritz (42) seit 2008 das Advertising und das Endkundengeschäft, besonders für Windows 7, die Windows Phones und den Windows Live Service. Als General Manager Consumer & Online Deutschland wurde sie außerdem in die Geschäftsleitung der Microsoft Deutschland GmbH berufen. Zuvor war sie in dem Unternehmen vier Jahre lang für Online Services wie etwa MSN zuständig. Die Erfahrung brachte sie von der Bertelsmann AG mit: Dort arbeitete sie ab 1995 und gehörte u. a. zum Gründungsteam von AOL Europa. Dorothee Ritz ist Volljuristin; sie promovierte über Online-Strafrecht. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer dreieinhalbjährigen Tochter und ihrem knapp zweijährigen Sohn in München.