Meistens muss ich ein bisschen grinsen, wenn ich etwas über Führung lese. Oft klingt es so, als wäre Führung eine Kunst, die nur ganz besondere Menschen beherrschen. So wie Zaubern oder Zeichnen. Angehende Führungskräfte erstarren vor Ehrfurcht, während sie den Tipps erfahrener Leader lauschen. Und eine Menge Berater und Führungsexperten lebt sehr gut davon, anderen beizubringen, wie man führt.
Vielleicht erscheint es mir auch nur so banal, weil ich eine Frau bin. Wer schon mal länger mit Kindern zu tun hatte, lernt früher oder später zu führen. Oder geht unter.
Ich selbst bin in meine Führungspositionen eher hineingerutscht – ich wurde gefragt, ob ich’s machen will. Und – wohl ebenfalls typisch Frau – hab anfangs gezweifelt, ob ich das packe. Bis ich gemerkt habe: Es ist gar nicht so schwer.
Es ist sowieso meine Erfahrung, dass etwas umso schwerer wird, je mehr Angst man davor hat und je mehr Brimborium man darum macht. Deshalb sage ich:
Keine Angst vor Führung
Führung ist kein Zauberwerk – sie ist eigentlich ganz einfach. Natürlich gibt es manchmal Probleme, aber man lernt mit der Zeit, damit umzugehen. Am wichtigsten ist, nicht auf irgendwelche Tipps von außen zu hören. Das klingt hart – aber immer, wenn ich auf andere gehört habe, geriet ich auf den Holzweg.
Viele Menschen haben eine klischeehafte Vorstellung davon, wie ein Chef oder eine Chefin zu sein hat. Gelegentlich habe ich von Freunden zu hören bekommen: „Du bist zu weich! Du musst dich mehr durchsetzen. Deine Leute tanzen dir auf der Nase rum.“ Tatsächlich habe ich mir mehr gefallen lassen als manch anderer. Aber mir waren Mitarbeiter, die sich ab und zu mal im Ton vergreifen oder mir unliebsames Feedback um die Ohren hauen, lieber als Ja-Sager und Abnicker.
Schwarze Führung
Als ich zum ersten Mal an einem Führungsseminar teilnahm, war ich Gottseidank schon gefestigt genug, um mich von den aberwitzigen Ideen des Trainers nicht völlig durcheinanderbringen zu lassen. Der Mann, über 50, Schnauzer, Goldrandbrille, war definitiv old school – und auch seine Vorstellungen von Führung hatten schon reichlich Staub angesetzt.
Einer seiner „Tipps“ lautete: Als Chef setze man sich niemals mittags mit seinem Team an einen Tisch. Astreine Segregation sozusagen, man kennt das von der Apartheid in Südafrika. Immer schön Abstand vom Pöbel halten, immer auf Distanz bleiben.
Wie bitte?! Mir erschien das reichlich absurd. Denn ich verbrachte ziemlich viele Mittagspausen mit meinen Leuten – einerseits, weil es immer etwas zu besprechen gab und ich gern Neues von ihnen erfahren wollte. Andererseits mochte ich sie auch ganz gern.
Man stelle sich vor, ich wäre so ein junger Hüpfer gewesen und hätte diesen Ratschlag aus dem Seminar sofort in die Tat umgesetzt: Plötzlich hätte ich mich demonstrativ an einen anderen Tisch gesetzt, am besten nur noch zu Kollegen auf meiner Führungsebene. Ich weiß gar nicht, wie mein Team reagiert hätte. Vermutlich hätten sie mich gefragt, ob ich jetzt völlig übergeschnappt sei. Und zwar zu Recht.
Ein weiterer Führungstipp von Mr. Old School war, seine Mitarbeiter an die Kandare zu nehmen, ihnen nichts durchgehen zu lassen und sie bei Verfehlungen runterzuputzen. Jetzt langte es mir. In der Pause ging ich zu ihm und sagte: „Wissen Sie, das ist nicht die Art, wie ich mit meinen Leuten umgehe. Ich kann mir das gar nicht vorstellen.“ Und dann sagte er etwas, was mir ein Leben lang im Gedächtnis bleiben wird – und wofür ich ihm das ganze blöde Seminar verzeihe: „Vielleicht müssen Sie das auch nicht.“
Haha, ich war also erlöst! Das galt alles gar nicht für mich! Dann war’s ja gut. Damals interpretierte ich seine Worte so, dass ich möglicherweise niemals in die Lage kommen würde, derart agieren zu müssen. Und so war es auch. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht zog ich einfach nur Leute an, mit denen man nicht so umgehen musste. Leute, die einfach zu führen waren.
Heute bin ich einen Schritt weiter und denke: Ich setze diese rabiaten Methoden bewusst nicht ein, weil sie mir nicht entsprechen. Durch die Art, wie ich selbst Menschen behandle, bekomme ich eben auch eine angemessene Reaktion. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Damit komme ich zum nächsten Punkt:
Wie du mir, so ich dir
Jemand hat mal zu mir gesagt: „Mein Führungsprinzip ist ganz einfach: ,Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.’ Damit bin ich immer gut gefahren.“ Das kann ich unterschreiben.
Es hilft natürlich, wenn man nicht mit 21 Jahren in eine Führungsposition gelangt, sondern sich die Welt erst mal ein paar Jahre von der anderen Seite anschauen kann. Von unten, sozusagen. So kann man sich mental schon mal notieren, was einen alles nervt und es später selber besser machen. Das war immer eine große Motivation für mich: Es besser machen als all die schlechten Chefs, die ich in meinem Leben hatte.
Die Devise „Wie du mir, so ich dir“ hat natürlich auch einen Pferdefuß: Die Menschen sind nicht alle gleich. Was dem einen wichtig ist, darauf kann der andere verzichten. Mir zum Beispiel sind Formalien wie Begrüßungen, Vorstellungsrunden, Agenden nicht so wichtig. Ich brauche auch nicht besonders viel Struktur und kann sehr gut mit dem Ungefähren leben. Ja, ich mag es sogar, wenn überall noch etwas Luft für den Zufall bleibt.
Ich habe aber gelernt, dass es Menschen gibt, denen diese Dinge wichtig sind. Also versuche ich, Kompromisse zu finden – denn ganz anpassen will ich mich auch nicht. Und hier kommt der nächste Tipp:
Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann
Zu versuchen, seine Mitarbeiter glücklich zu machen, ist ein ehrenwerter Anspruch. Ich stehe nach wie vor zu diesem Anspruch. Glückliche Mitarbeiter sind motiviert, liefern ab und haben Spaß dabei. Ich möchte, dass sie sich wohlfühlen und sich – soweit es geht – in ihrer Arbeit verwirklichen können. Aber es nicht meine Aufgabe allein. Es gehören mindestens zwei dazu – außerdem kann ich die privaten Umstände von Mitarbeitern kaum beeinflussen. Ich habe ein offenes Ohr und gebe gern meine Meinung ab, wenn sie gefragt wird. Aber aufopfern werde ich mich nicht.
Und natürlich bin ich selbst nicht perfekt. Hinzu kommen äußere Zwänge im Unternehmen, unangenehme oder gar sinnlose Maßnahmen, die ich meinem Team verklickern muss, Enttäuschungen. Damit müssen wir alle leben – c’est la vie. Es regnet nicht immer rote Rosen. Womit wir beim nächsten Punkt wären:
Wie sag ich’s meinem Kinde?
Früher wurde der Herold, der die schlechten Botschaften überbrachte, gern gehängt. Das gibt es heute nur noch, wenn die Botschaft „nach oben“, an die Spitze des Unternehmens überbracht wird. Nach unten ist man safe. ;)
Aber trotzdem ist es unangenehm. Wie sag ich’s also meinem Kinde, äh, meinem Team? Das ist nicht so banal, wie es scheint. Wahrscheinlich würden die meisten Menschen antworten: Naja, einfach ehrlich sein. Es gibt allerdings viele Unternehmen, die von ihren Führungskräften erwarten, dass sie ihren Untergebenen ins Gesicht lügen. Ich finde das sehr schwierig, auch wenn ich verstehen kann, dass es manchmal nötig ist.
Wenn also ein Vertrauensverhältnis im Team besteht (was wünschenswert wäre, denn nur so ist es ein erfolgreiches Team), würde ich immer für Ehrlichkeit plädieren. Möglicherweise muss man eine Information vorerst weglassen, aber man sollte sich so nah wie möglich an der Wahrheit bewegen. Denn da ist ja noch…
Die Sache mit dem Spiegel
Diesen Satz sollten sich Führungskräfte auf den Spiegel schreiben: „Ich möchte so führen, dass ich mich morgens noch im Spiegel ansehen kann.“ Von Augenringen und Fältchen mal abgesehen – was siehst Du da? Hoffentlich eine Führungspersönlichkeit, die mit sich im Reinen ist, die die Verbindung von Mensch zu Mensch sucht, die eine respektvolle Haltung zu Mitarbeitern und Kollegen entwickelt hat und auch auf sich selbst aufpasst. Und die nicht perfekt ist, aber offen dafür, mit ihren Aufgaben zu wachsen.