Christine Finke: „Angela Merkel sollte mein Buch lesen!“

Dr. Christine Finke, Autorin, Bloggerin. Bild: Patrick Pfeiffer Photodesign
Dr. Christine Finke, Autorin, Bloggerin. Bild: Patrick Pfeiffer Photodesign

Christine Finke, promovierte Sprachwissenschaftlerin, bloggt seit 2011 unter mama-arbeitet.de über ihren Alltag als extrem Alleinerziehende. Mit ihren Texten sowie auf Facebook und Twitter erreicht sie täglich viele Tausend Leserinnen. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben: „Allein, alleiner, alleinerziehend“ (Lübbe Verlag). Anlass für uns, Christine ein paar Fragen zu stellen: 

Liebe Christine, du schreibst sehr offen und persönlich über dein Leben als Alleinerziehende. Hast du nicht manchmal Angst, dass du zu viel von dir preisgibst?

Von mir nicht, höchstens von den Kindern – denn die können ja nichts dafür, dass ihre Mutter bloggt und ein Buch schreibt. Aber ich versuche mit allem vorsichtig umzugehen, was ich an Informationen über die Kinder öffentlich mache. Jede Bloggerin hat ihre eigenen Grenzen, und auch wenn das bei mir nicht so scheint, erzähle ich noch lange nicht alles. Was man im Blog und auch in diesem Buch liest, ist nur die Spitze des Eisbergs. Und bei dem liegen bekanntlich 90% unter Wasser.

Du schreibst in deinem Buch, dass Bloggen dir sehr geholfen hat. Bei Facebook und Twitter bist du auch sehr aktiv. Wie und warum ist das Internet so wichtig für dich?

Es ist und war so wichtig für mich, weil ich gerade in den ersten Jahren des Alleinerziehens richtiggehend zuhause fest saß. Es war mein Tor zur Welt, zu Gleichgesinnten, zu Netzwerken und auch – speziell Twitter – ein Ort, an dem ich Gefühle und Gedanken lassen konnte, und an dem ich auch Trost erfuhr.

Ich ziehe Kraft aus dem Austausch im Internet, und inzwischen ist es längst so, dass ich viele der virtuellen Bekanntschaften auch im echten Leben getroffen habe. Sie waren alle großartig, es sind wunderbare Menschen, die ich so kennengelernt habe.

Der Untertitel deines Buches lautet: „Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder in Stich lässt“. Meinst du das wirklich so? Haben wir nicht eine ganze Menge an Unterstützung in Deutschland?

Es ist nicht alles schlecht. Ich habe ja einige Jahre Wohngeld bezogen und vom Sozialpass profitiert, das sind schon gute Instrumente. Aber es ist nicht einfach, sich durch die Formulare und Hilfsmöglichkeiten zu wühlen. Wir bräuchten eine zentrale Anlaufstelle, die z.B. praktische Beratung über Hilfen vor Ort vermittelt und die auch beim Ausfüllen von schwierigen Anträgen hilft. Und diese Beratung sollte initiativ auf die Alleinerziehenden zugehen, „Von der Hol- zur Bringschuld“, wie es kürzlich auf einem Workshop des BMfSJ formuliert wurde.

Denn hier geht es um viele Kinder, die über Jahre in Armut leben, wie uns Studien zeigen. Und das hat Folgen für die Kinder, für ihre Psyche, für ihre motorische Entwicklung, für ihre Bildung und ihre Zukunftsschancen. Das sollte in einem reichen Land wie Deutschland nicht passieren.

Was empfindest du als besonders belastend als Alleinerziehende?

Die Mischung aus Zeitnot, finanziellen Sorgen und mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung – genauer gesagt die Abwertung von Alleinerziehenden. Wir haben ein Imageproblem, es gibt kaum Vorbilder, und viele Alleinerziehende sind so stark belastet, dass der Burn-Out immer um die Ecke ist. Es ist furchtbar anstrengend, die Verantwortung für ein oder mehrere Kinder im Alltag ganz alleine zu tragen. Sogar, wenn es einen gutwilligen Wochenendpapa gibt, der die Kinder alle 14 Tage zu sich nimmt. Krank sein können zum Beispiel die allerwenigsten Alleinerziehenden. Urlaub ist auch fast nie drin.

Wie könnten wir denn Alleinerziehende unterstützen, sowohl als einzelne Frauen (oder Männer) und als Gesellschaft?

Zuallererst sollten wir die steuerlichen und finanziellen Rahmenbedingungen verbessern: Alleinerziehende werden fast wie Singles besteuert! Ich finde es auch nicht in Ordnung, dass auch Väter, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, den halben Kinderfreibetrag auf ihrer Steuerkarte haben und die Hälfte des Kindergelds erhalten bzw. vom Unterhalt abziehen können, falls sie überhaupt welchen zahlen. Die Hälfte der Alleinerziehenden erhält keinen oder nur unregelmäßig Unterhalt für ihr Kind – verfolgt wird das nicht wirklich, die Möglichkeiten, die Jugendämter und Gerichte haben, sind begrenzt.

Als einzelne können wir uns im Empathie und Verständnis üben. Das wäre schon viel Wert. Praktische Hilfe anzubieten, ist eher utopisch, denke ich, denn jeder hat so viel um die Ohren, sogar die Rentner heute sind ständig verplant. Aber beim Wählen kann jeder überlegen, wer gute Wahlprogramme für Familien hat und die Anliegen von Alleinerziehenden und ihren Kindern auch im Blick hat.

Wenn du einen Gesprächstermin mit Angela Merkel hättest, was würdest du ihr vorschlagen, was sich für Alleinerziehende ändern soll?

Sie soll Frau Schwesig fragen – die hat viele gute Ideen. Oder die Grünen (Christine ist in keiner dieser Parteien Mitglied. Anmerk. d. Redaktion). Und Kontakt mit Reina Becker aufnehmen, die seit Jahren für gerechtere Besteuerung von Alleinerziehenden kämpft.

Und wenn Angela Merkel eine gute Fee wäre, was wäre dein persönlicher Herzenswunsch?

Ich wünsche mir, dass sie mein Buch liest. Damit sie zu einer Bevölkerungsgruppe Kontakt und einen Draht bekommt, mit der sie ansonsten, wie ich vermute, nichts zu tun hat.

Das Buch

"Allein, alleiner, alleinerziehend" von Christine Finke
„Allein, alleiner, alleinerziehend“ von Christine Finke

Das Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“ von Dr. Christine Finke findet ihr natürlich in eurer lokalen Buchhandlung. Oder ihr bestellt es direkt beim Verlag, Amazon geht natürlich auch.

Weitere Links:

  • Rezension des Buches „Allein, alleiner, alleinerziehend“ bei Business Ladys
  • Blog von Reina Becker und Andrea Koeppler „Besteuerung Alleinerziehender„, hauptsächlich geht es um die Klage von Reina Becker und die Forderung nach einem Familiensplitting

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