Tanja Wielgoß – Karriere wie im Flug

Im Grunde dreht sich die ganze Arbeit von Tanja Wielgoß ums Vorankommen. Schließlich verantwortet sie den Bereich „Aviation“ – sie arbeitet täglich mit Fluglinien und Flughäfen zusammen. Doch ihre Karriere hob nicht schnurgerade in den Himmel ab. Eine ungewöhnlichen Strategie brachte sie auf ihre Position als Principal und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney.

Tanja Wielgoß kommt gerade von einer Geschäftsreise aus Istanbul zurück. Als Topmanagerin mit Kind braucht sie dafür ein besonders gutes Projektmanagement: „In Deutschland ist es oft noch etwas Besonderes, wenn eine Mutter arbeitet und Karriere macht“, sagt sie. Weil herkömmliche Betreuungsangebote darauf nicht zugeschnitten sind, findet Wielgoß kreative Lösungen. Ihre Tochter geht in eine Kita, die von sechs bis 19.30 Uhr geöffnet hat.

Auch wenn ihr Mann und sie eine so lange Betreuung selten benötigen, finden sie es doch beruhigend, im Notfall diese Rückfallposition zu haben. Da quasi jede Woche Reisen anstehen, spricht sie sich mit ihrem Mann ab. Im Hause Wielgoß ist jede Karriere gleich wichtig – und das erfordert Teamwork: „Auch mein Mann muss mal eine Sitzung vorverlegen oder verlassen, weil er unsere Tochter abholen muss.” Müssen beide weg, kommt eine der beiden Omas oder der Opa nach Berlin.

Erst mal nicht in Berlin, sondern im Düsseldorfer Büro ihrer Firma parkt Tanja Wielgoß ihren Koffer. Er sieht aus, als wäre er schon durch so manche Stadt gerollt. Das läuft schon während ihrer Ausbildung so. Aus ihrer Heimat im Allgäu geht sie für ein Jahr nach Texas, danach zum Studium nach Jena, Aix-en-Provence und London, macht zwischendrin Praktika, unter anderem in Brüssel bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, bis sie schließlich ihre Doktorarbeit in Paris schreibt, wo sie nebenher als freie Mitarbeiterin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet. Zu dieser Zeit dreht sich für sie alles um Politik. Politikwissenschaft ist ihr Hauptfach, dazu paukt sie Geschichte und Wirtschaftswissenschaften. Noch ahnt sie nicht, dass besonders Letzteres sich einmal als kluge Wahl erweisen wird. „Ich habe das studiert, was mir Spaß macht, und mich nicht um irgendwelche Ratschläge von außen gekümmert“, sagt sie. Diesen Schritt wertet sie als Erfolgsfaktor – ebenso wie die dahinterstehende Haltung. Freude an dem, was sie tut, strahlt Tanja Wielgoß aus. Lachfalten umgeben die blauen Augen, aus denen sie ganz offen auf die Welt blickt. Manchmal allerdings tut sich eine Sackgasse auf. Ihre Arbeit in öffentlichen Einrichtungen etwa weckt die Erkenntnis: Das ist nicht ihr Tempo.

Auf der Suche nach Karriere-Alternativen kommt ihr ein Aufruf zu einem Recruiting-Event gerade recht: Der Veranstalter ist eine Unternehmensberatung. Und das Ganze soll in den Schweizer Alpen stattfinden. „Eigentlich wollte ich ja nur mal wieder in die Berge“, erzählt sie lachend. „Aber dann war das Event so spannend, dass ich mich für die Unternehmensberatung zu interessieren begann.” So steigt sie 2001 als Beraterin bei Roland Berger ein – und binnen vier Jahren zur Projektmanagerin auf.

„Bis zu einer bestimmten Ebene geht der Weg für Frauen mittlerweile ganz gut nach oben. Doch dann wird es schwieriger, und da müssen wir einfach noch etwas nachhelfen.”

2005 erhält sie ein Angebot, das erst auf den zweiten Blick attraktiv erscheint: Ein kleiner, unbekannter Verband sucht einen Geschäftsführenden Vorstand. Sie wechselt. Hier kann sie gestalten. Den Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF) baut Wielgoß zu einem einflussreichen Interessenverband auf. Die Chefs von Lufthansa, Air Berlin, Condor und Konsorten sitzen mit ihr an einem Tisch, um die Belange der deutschen Fluglinien zu besprechen. „Nach drei Jahren Aufbauarbeit hatte ich mein persönliches Ziel erreicht – der Verband stand sehr gut da. Eine gute Ausgangslage, um den Staffelstab zu übergeben“, sagt sie. Und ist abermals auf dem Sprung.

Jetzt macht der Karriereschlenker sie zur gefragten Fachfrau: Die Top-Managementberatung A.T. Kearney will den Bereich Transport und Logistik ausbauen. Und dafür will sie Tanja Wielgoß. Als Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung (Principal) soll sie die Beratung für Luftfahrtindustrie und Transportation in deutschsprachigen Ländern und Osteuropa vorantreiben – und insbesondere Kunden wie Fluglinien und Flughäfen betreuen. Sie unterschreibt. Und hat gleich Neuigkeiten für die Personalabteilung: „Meine Frauenärztin überraschte mich mit einem ‚Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger!’” Das hält sie nicht davon ab, sich in die neue Aufgabe zu stürzen.

Abermals tut Wielgoß, was ihr liegt: Sie gestaltet den neuen Bereich „Aviation“ – den sie inzwischen erfolgreich ausgebaut hat. Dass sie im Januar ihr zweites Kind bekommen wird, ist deshalb kein großes Thema mehr. Wie das geht, hat sie bereits bewiesen. Und entsprechende konkrete Vorstellungen entwickelt: „Wir müssen von der so genannten ‚Facetime’ wegkommen“, sagt sie. „Also uns von der Idee verabschieden, dass, wer lange im Büro verweilt, gute Leistungen bringt und aufsteigt. Denn letzten Endes kommt es auf Ergebnisse an.” Sowohl im deutschsprachigen Raum als auch weltweit liegt bei A.T. Kearney der Frauenanteil bei 20 Prozent. In Führungspositionen liegt er naturgemäß darunter. Doch eine Erhöhung des Frauenanteils lohnt sich: In den USA erwirtschaften die Partnerinnen von A.T. Kearney sogar mehr Umsatz als ihre männlichen Kollegen.

In vielen Unternehmen in Deutschland allerdings fehlen Frauen auf der Chefetage, die dem Nachwuchs als Vorbild dienen können. Um das zu ändern, hält Tanja Wielgoß Unterstützung von oben für unerlässlich. Sie nennt es nicht Quote. „Aber natürlich müssen wir beim Frauenanteil mit Zielgrößen arbeiten“, sagt sie. Durch die deckenhohen Fenster des Konferenzraums im Düsseldorfer Medienhafen sieht man zwei Ruderer gemächlich vorüberziehen. Der Kontrast zum Leistungsgedanken bei Unternehmensberatungen könnte kaum größer sein. „Durch die Projektarbeit wechseln wir Berater sehr oft das Umfeld, wir bekommen immer wieder aufs Neue die Chance, uns zu beweisen. Selbst wenn wir mit einem Kunden einmal nicht so gut zurechtkommen sollten, wird es sicher beim nächsten anders sein”, erklärt Tanja Wielgoß.

Auch junge Beraterinnen arbeiten mit Führungskräften in den Unternehmen ihrer Klienten – und sollten ihre Kontakte pflegen. Denn Fortentwicklung ist in der Beratung Pflicht. Solch hohe Anforderungen, wie Beratungen sie an ihre Mitarbeiter stellen, brauchen Ausgleich. Tanja Wielgoß schwört auf Grenzen. Auch wenn die Arbeitstage sich – gerade nach dem Berufsstart – bis in den Abend ziehen mögen: Das Wochenende sollte frei sein, findet sie. Wer es nicht schaffe, seine Aufgaben in angemessener Zeit zu erledigen, müsse zum Beispiel über ein besseres Zeitmanagement nachdenken. Und auch lernen, Grenzen zu setzen. Wielgoß hat eine 80-Prozent-Stelle – und einen Tag pro Woche frei. „Dann stehe ich auch nicht per Handy oder E-Mail zur Verfügung. Aber das musste ich auch erst lernen”, sagt sie. Den Blackberry auszuschalten sei im Übrigen auch eine Aufgabe der Mitarbeiterführung: Man müsse sein Team Verantwortung lehren – und selbst verinnerlichen, dass man nicht jede Frage sofort beantworten muss.

Update [20.5.2015]: Am 1. November 2014 übernimmt Dr. Tanja Wielgoß den Vorstandsvorsitz der Berliner Stadtreinigungswerke und ist damit Chefin von über 5.100 Mitarbeitern (2013) und einen Umsatz von gut 500 Mio. Euro (2013).

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