
Selbstgespräche haben keinen besonders guten Ruf, dabei fördern sie unsere Konzentration, Motivation und Leistungsfähigkeit. Die Konzentration anderer können Selbstgespräche allerdings empfindlich stören, zumindest die, die tatsächlich laut geführt werden. Sie gehören auf jeden Fall zu den Top Ten unter den Störfaktoren im Gemeinschaftsbüro. Dank AirPods und Co schaut allerdings kaum noch jemand irritiert auf, wenn wir in der Bahn oder im Büro plötzlich anfangen, vor uns hinzureden. Vermutlich erfahren wir durch ihre Erfindung aber auch häufiger, was in den Köpfen anderer vorgeht – oder zumindest, was sie anderen erzählen, was in ihrem Kopf vorgeht. Um das Oversharing mancher Menschen soll es hier aber nicht gehen, auch wenn Unternehmen gut beraten sind, ihre Mitarbeitenden in Sachen Datensicherheit zu schulen, wenn diese regelmäßig unterwegs arbeiten. Studien haben nämlich beschrieben, dass der sogenannte »Need-to-listen-Effekt« besonders hoch ist, wenn wir nur eine Seite eines Gesprächs mitbekommen.
Selbstgespräche anderer können wir wesentlich seltener belauschen als ihre Telefonate, denn mit wachsendem Alter führen wir sie meistens nur noch laut, wenn wir allein sind. Ansonsten finden sie vor allem in unserem Inneren statt. Wenn wir dann doch mal etwas ausrufen wie „Huch!“ oder im Supermarkt die Einkaufsliste aus unserem Kopf vor uns hinmurmeln, um ja nichts zu vergessen, sind wir peinlich berührt, sobald wir es merken – geschweige denn, wenn wir dafür Blicke ernten.
Dabei ist, mit sich selbst zu sprechen, völlig normal und weit verbreitet. Schätzungen zufolge verbalisieren 96 Prozent aller Erwachsenen regelmäßig ihre innere Stimme – Menschen, die viel alleine sind, tatsächlich häufiger. Der Großteil unserer Selbstgespräche findet allerdings innerlich statt. Ein Grund vermutlich, warum wir es häufig gar nicht bemerken oder unsere Gedanken bisher nicht als solche betrachtet haben.
Wann wir mit uns wie reden
Der Psychologe Thomas M. Brinthaupt, der eine Skala entwickelt hat, mit der sich die Häufigkeit unserer Selbstgespräche messen lässt, unterteilt sie in vier Arten: Anweisungen, Bestärkung, soziale Einschätzung und Selbstkritik. Wenn wir eine Aufgabe mit mehreren Schritten erledigen müssen, murmeln wir beispielsweise die nächsten Schritte vor uns hin, um konzentriert bei der Sache zu bleiben. Bei routinierten Aufgaben können diese Gespräche nur aus Schlagworten bestehen, wie »speichern«, damit wir ja nicht riskieren, die vorherigen Schritte zunichtezumachen.
Wollen wir uns motivieren, eine sportliche Leistung zu vollbringen oder den Text doch noch vor der Deadline abzugeben (gleiches Stress- und Anstrengungslevel!), reden wir uns häufig gut zu – à la »Komm schon, du schaffst das noch!«
Bei mir (als Intro?) besonders beliebt: soziale Interaktionen durchspielen. Das kann vor wichtigen Gesprächen passieren, indem wir uns zurechtlegen, was wir sagen möchten – aber auch hinterher, um Erlebnisse und Gefühle zu sortieren und zu verarbeiten oder uns zu ärgern, warum uns ein Argument nicht gleich eingefallen ist. Womit wir bei Art Nummer vier wären: der Selbstkritik. Keine Erklärung notwendig, würde ich sagen.
Durch die Beschäftigung mit diesen typischen Feldern sind wir allerdings schon einen guten Schritt weiter, überhaupt zu merken, dass wir gerade mit uns selbst sprechen – und das Ganze bewusster zu tun.
Selbstgespräche bewusst einsetzen
Die sportliche Höchstleistung hatte ich ja schon erwähnt, und ich gebe zu, vielleicht lässt sich mein Job doch nicht mit dem einer Leistungssportlerin vergleichen. Aber vermutlich kann ich deren Strategien für mich nutzen. Im Leistungssport gelten Selbstgespräche schon länger als wichtiger psychischer Prozess, um Leistung zu beeinflussen, und dank Simone Biles und Co. ist die Bedeutung der Psyche und der mentalen Gesundheit in den letzten Jahren noch einmal mehr in den Fokus gerückt.
Aus unbewussten und unkontrollierten Selbstgesprächen sollen zielgerichtete und strategische werden, die uns motivieren, statt uns runterzuziehen. Wir wissen doch alle, dass die Einstellung »Heute ist einfach nicht mein Tag« einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleichkommt. Leistungsfördernde Gedanken zu etablieren, erfordert natürlich Training und damit Energie. Aber je mehr wir trainieren, desto automatisierter werden sie – und kosten uns damit wieder weniger Energie. Logisch, oder? Die Ergebnisse bleiben allerdings besser, oder zumindest erreichen wir sie leichter und mit weniger Stress.
Beim Leistungssport werden für Wettkämpfe Stichwörter, Cues oder kurze Phrasen individuell im Training erarbeitet, damit sich die Sportler:innen in entscheidenden Momenten auf einen bestimmten Bewegungsablauf konzentrieren, die Geschwindigkeit halten oder einfach nur durchhalten. Das können wir uns auch im Arbeitsalltag zunutze machen und unsere eigenen Cues entwickeln, wenn wir etwas verändern möchten. Fällt es uns beispielsweise schwer, unsere Impulse zu kontrollieren und andere zu unterbrechen, könnten wir in jedes Gespräch reingehen mit »erst zuhören«. Wir könnten uns größere Aufgaben in kleine Abläufe unterteilen, von denen wir jeden mit einem Stichwort versehen, wie zum Beispiel »Überschriften brainstormen«. Ich stelle mir das direkt in einer 90er-Jahre-Roboterstimme vor, und das leere Blatt sowie die Deadline verlieren gleich ihren Schrecken. Dank Homeoffice kann ich es sogar laut aussprechen – und mit dem gezückten Miniventilator den gewünschten Effekt erzielen.
Mehr Selbstgespräche dank ChatGPT
ChatGPT ist natürlich auch immer eine große Hilfe, wenn wir uns mal selbst nicht beantworten können, wo oder wie wir anfangen sollen. Vielleicht belauschen wir demnächst auch wieder häufiger andere im Selbstgespräch – jetzt, da wir mit dem Tool nicht nur schreiben, sondern auch sprechen können. Einige nutzen den KI-Chatbot bereits als Karriereberater oder Therapeutin. Letzteres aber sicher eher zu Hause als im Großraumbüro.
Wer anstrebt, mit sich zukünftig besonders lyrisch selbst zu sprechen, für den habe ich noch zwei annähernd zum Thema passende Gedichte aus dem Lyrik Newsletter von Suhrkamp herausgesucht:

