Meine Mutter hat mir einen wichtigen Satz ins Leben mitgegeben. „Wenn die Anderen das können, kann ich das auch!“ hat sie mir immer wieder gesagt. Und wenn ich neue Herausforderungen meistern musste, dachte ich mir ebenso:
„Wenn Andere das können, kann ich das auch.“.
Diese Einstellung hat mich durch viele schwierige Phasen meines Lebens begleitet: studieren mit Kind, hochschwanger mit dem zweiten Kind einen neuen Job beginnen, Vollzeit arbeiten mit zwei Kindern. Immer gab es mindestens eine Andere, die ich mir zum Vorbild nehmen konnte. Und alles habe ich tatsächlich gekonnt und gemeistert.
Aber jetzt, beim dritten Kind, stehe ich vor einer Herausforderung, bei der ich kein Vorbild habe. Zumindest nicht in der Realität. Denn im Netz scheine ich viele davon zu finden, wenn ich den Bildern glauben mag.
Es geht um die Mütter, die mich zigfach selig und entspannt mit ebensolchem Baby vor dem Laptop sitzend anlächeln. Wenn du mir jetzt nicht folgen kannst, dann gib doch mal in der Google-Bildersuche „Arbeiten mit Baby“ ein. Dort oben in der ersten Bilderreihe sitzen sie, die motivierten Mütter. Mit Babies. Vor dem Laptop. An einem aufgeräumten Arbeitsplatz.
Friedlich, glücklich und produktiv. Kann ich das auch?
Mein Baby ist jetzt an der Grenze zum Kleinkind, meine Elternzeit endet bald. Wenn ich das Arbeiten mit Baby nicht jetzt versuche, habe ich vielleicht nie wieder die Chance dazu.
Also los.
Morgens mache ich meine zwei Großen fertig, bringe das mittlere Kind zum Kindergarten und gehe dann mit dem Baby nach Hause. In der Früh habe ich mir eine Bluse und eine dunkle Jeans angezogen und etwas Make-Up aufgelegt. Die Haare sind frisiert, geglättet und offen.
Genau so hatte ich es auf einem der Bilder gesehen. Das gefällt mir. Den morgendlichen Kaffee musste ich deswegen opfern. Sich zurechtmachen neben drei Kindern ist herausfordernd. Dafür hätte ich eigentlich früher aufstehen müssen.
Bevor ich arbeiten kann, muss ich jedoch mein Nochbaby umziehen. Es hat sich eingesaut in der Früh. Die Babys auf den Bildern sind immer sauber.
Dann nehme ich mein Kind, setze mich mit ihm an den Schreibtisch und starte meinen Laptop. Das Baby sitzt auf meinem Schoß und freut sich. Es will auch arbeiten. Allerdings bedeutet arbeiten für das Kind, dass es wild auf den Tasten des Laptops einschlägt.
Mein Selbstversuch fängt so schon mal gut an. Dabei will ich lediglich ein bisschen arbeiten. Ich muss tatsächlich nur eine Email schreiben. Mit Baby.
Solltest du das nachmachen wollen, gebe ich dir einen Tip: Schreib den Email-Empfänger erst ganz am Ende in die Adresszeile.
So vermeidest du, dass der Adressat der Email mehrere Versionen von dir erhält. Bei mir ist die erste verschickte Email eine „Version“ des Babys. Darauf schicke ich eine zweite Version gleich hinterher. Diese erklärt kurz, dass die vorherige Email von meinem Baby war und ich gleich meine richtige Antwort senden werde.
Für die zweite Version muss ich das Experiment unterbrechen und das Baby kurz im Kinderwagen anschnallen. Jetzt kann ich die eigentliche Mail schreiben. Allerdings habe ich nun etwas Zeitdruck, weil ich die Antwort bereits angekündigt habe. Ein erzürntes Baby habe ich ebenso. Es fand den Kinderwagenaufenthalt nicht besonders gut.
Den genauen Wortlaut des Babies erspare ich Ihnen hier. Er ist nicht jugendfrei.
Ich schiebe den Laptop so weit von mir weg, dass das Baby nicht mehr dran kommt. Das Baby rudert wild mit den Armen. Es findet, dass das ein super Spiel sei. Also versucht es sich auf meinem Schoß aufzurichten, um wieder an die Tasten zu kommen. Jedes Mal, wenn ich es zurückziehe und „Nein!“ sage, jauchzt es. Die Mama ist lustig, findet es. Arbeiten mit Baby finde ich immer weniger lustig.
Um das Kind abzulenken und dennoch auf meinem Schoß zu behalten, öffne ich ein zweites Fenster meines Browsers. Ich platziere beide Fenster so, dass sie jeweils bis zur Mitte des Bildschirms gehen. Im rechten Fenster lasse ich Videos mit Kinderliedern laufen und im linken will ich dann meine Email schreiben. Ein wenig Stolz überkommt mich, wegen dieses grandiosen Einfalls. Das Hochgefühl bleibt jedoch nur kurz bei mir.
Das Baby ist in Extase. Videos! Es will gegen den Bildschirm patschen, will die dort singenden Figuren anfassen. Ich kann es beruhigen, indem ich auch zum Video singe und klatsche. Das Baby klatscht begeistert mit. Die leere Email schaut mich auf der linken Bildschirmseite vorwurfsvoll an.
Noch einen Versuch, denke ich. Nur noch einen Versuch, dann lass ich das. Ich halte mein Kind mit dem linken Arm fest um den Bauch und summe nur noch, während ich mit der rechten Hand versuche meinen Text zu verfassen. Ich kann zwar nur in Kleinbuchstaben tippen, aber die ersten Worte finden ihren Weg in die Mail. Da dreht sich mein Baby gelangweilt zu mir um und fängt an mir an den offenen, langen Haaren zu ziehen. „Nein!“ sage ich abermals. Das Baby ist amüsiert.
Naja. Man kann ja mit Baby arbeiten, ohne dass es gleich auf dem Schoß sitzen muss, tröste ich mich. Ich setze mein Kind auf den Boden und gebe ihm meinen leeren Kaffeebecher zum Spielen.
Es läuft gut.
So für zwei Minuten. Ich bin mit meiner Email zur Hälfte gekommen und mitten im Flow. Da reißt das Kind wieder meine Aufmerksamkeit an sich. Es ist zur Fritzbox gekrabbelt und hämmert mit seiner Hand immer wieder auf den WLAN Knopf. „Nein!“ schreie ich, völlig entnervt. Das Baby lacht.
Okay. Ich kapituliere. Ich kenne niemanden, der mit Baby arbeitet und ich kann das auch nicht. Nicht mit diesem Baby. Die begonnene Email lösche ich und will stattdessen den Empfänger kurz anrufen…
Lassen Sie es mich so beenden: Ich kann alles, was Andere auch können. Außer mit Baby arbeiten. Das kann ich nicht.
Helena
Bild: LBP/photocase.de