„Wenn Ihr unzufrieden seid mit Eurem Unternehmen, dann ändert doch selbst etwas, statt immer nur die Schuld auf ,die da oben‘ zu schieben!“ Solche Aufrufe zur Revolution lese ich immer wieder auf Twitter und in anderen Blogs. Vorzugsweise von Berater*innen, die from the comfort of their own sofa schreiben.
Bild: birdys/photocase.de
Angesprochen sind diejenigen, die man gern als „die da unten“ bezeichnet (also mittlere Führungsebene bis Fußvolk). Und Frauen, da sie ja immer was zu meckern haben und relativ neu sind in der Arbeitswelt. Revolution muss von unten kommen bzw. aus der Vaginalen, ist doch klar.
Weil mir jetzt mittlerweile der Kopf vom Schütteln wehtut, muss ich dazu mal was loswerden: NEIN. Die Revolution ist abgesagt. Keine*r von uns muss sich die Verantwortung aufladen, einen Saftladen zu revolutionieren. Nach dem, was ich erlebt habe, lautet mein gut gemeinter Ratschlag an alle, die sich in ungesunden Arbeitsverhältnissen befinden: RAUS. Und zwar schnell. Aus Selbstschutz, und weil das Leben so schön sein kann, wenn man nicht in einer HORG feststeckt. ???? (Und übrigens, der Plan ist, DAS BUCH™️ zu diesem Thema bis Oktober fertigzumachen.)
Mein Problem mit diesem ganzen Revolutionsgedöns ist: Es spricht vor allem Menschen an, die sowieso schon dazu tendieren, sich Verantwortung aufzuladen. Weiß nicht, ob das so ein Frauending ist. Aber ich war auch so: Wenn irgendwo Verantwortung rumlag, hab ich sie mir auf den Rücken gepackt. Bis ich kaum noch geradeaus laufen konnte.
Das falsche Verantwortungsgefühl
Welche Verantwortung hast du für dein Unternehmen? Gar keine. Also, außer dass es einen Arbeitsvertrag gibt, den du erfüllen musst und wahrscheinlich auch erfüllen willst. Anders ist die Lage, wenn es tatsächlich DEIN Unternehmen ist. Das heißt, du bist an den Gewinnen beteiligt, kannst die Strategie mitbestimmen und dir das Personal aussuchen. Es ist eine der größten Leistungen des Kapitalismus, den Angestellten zu suggerieren, ein Unternehmen sei „ihr“ Unternehmen, nur weil sie ein T-Shirt mit dessen Logo tragen. Nope.
Der Grund, warum ich mich so dagegen wehre, dass Frauen, Mittelmanager*innen oder gar einfache Abgestellte Strukturen verändern sollen, ist meine eigene Erfahrung: Man rennt gegen Wände, und das tut irgendwann weh.
Gerade die Engagierten, die die berühmte Extrameile gehen, gerade die Sensiblen, die mehr wahrnehmen als andere, gerade die Intelligenten, die mehr verstehen als andere, sind massiv gefährdet, sich in einem starren System aufzureiben und dabei krank zu werden. Gerade die, die am Corporate Helfersyndrom leiden und irgendwann ausbrennen.
Ich kenne immer noch Leute, die viele Stunden ihres Lebens damit verbringen, ihre Chefin zu analysieren. Warum macht die das, es macht doch gar keinen Sinn? Wie kann sie nur? Ist sie verrückt? (Antwort: Kann durchaus sein.)
Das ist nämlich ebenso eine grandiose Leistung des Gesellschaftssystems, dass man mit gewissen psychischen Störungen verdammt erfolgreich werden kann – ja, dass sie in manchen Positionen gar Voraussetzungen für den Erfolg sind. Das sollte uns zu denken geben.
Grübeln für die Revolution
Also, ich war selbst eine von den Grübler*innen, habe viele Abende meiner ohnehin knappen Freizeit und so manche Flasche Rotwein dafür aufgewendet, mit Kolleg*innen neue Strategien zu entwerfen, die natürlich keinen interessiert haben. Außerdem hatten wir nicht die Macht, sie umzusetzen.
Meine Versuche, in der Realität meiner HORG (immerhin im oberen Management) etwas zu verändern, sind gescheitert. Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich naiv war und meine Zeit dort verschwendet habe.
Wie sagte jemand aus dem Betriebsrat mal überraschend zu mir: „Frau Krüger, was machen Sie eigentlich hier? Sie sind doch viel zu gut für diesen Laden.“ Ähm, ja, er hatte Recht. (Das ist noch mal ein ganz anderes Thema, warum man sich einen Laden sucht, für den man eigentlich zu gut ist.)
Revolutionär*innen sind rar
Was braucht man für eine Revolution? Erstens braucht man eine kritische Masse. Zweitens braucht man Leute, die mutig sind und nichts mehr zu verlieren haben. Drittens muss man die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen. Ich bin total dafür, glaubt mir.
Nur gibt es meist keine kritische Masse. Ich muss mich korrigieren: Es gibt sehr viel gesunden Menschenverstand – und zwar je weiter weg von der Chefetage, desto mehr. Es ist der Hammer, wie viel Durchblick die Leute haben, die die eigentliche Arbeit machen. Die sind sehr kritisch, im wahrsten Sinne des Wortes also eine „kritische“ Masse. ????
Die würden auch was verändern wollen. Aber das mittlere Management verhindert die Veränderung. Warum? Diese Sandwich-Manager*innen sind eingequetscht zwischen der Chefetage und dem Fußvolk und bekommen von beiden Seiten Druck. Vor allem von oben. Ein Beispiel:
Die Geschichte vom engagierten NLL
In der Niederlassung Hintertupfingen entwickeln die schlauen Angestellten ein innovatives Konzept für den Kundenservice. Total schnittig, Kundenbedürfnisse sind berücksichtigt (wow!), und der Clou: Es spart sogar ein bisschen Geld. Sie würden das gern testen und beantragen ein Pilotprojekt. Ihr Niederlassungsleiter (NLL) ist jung und naiv genug, das in die Chefetage zu tragen. ????
Die Chefetage hat da überhaupt keinen Bock drauf. Warum? Es gibt aus deren Sicht überhaupt keinen Anlass, irgendetwas zu verändern. Das macht nur zusätzliche Arbeit. Die Kunden kommen doch auch so. „Hauptsache, das Geld ist am 15. auf dem Konto“, um einen meiner Oberhäuptlinge zu zitieren.
Der engagierte junge Niederlassungsleiter nervt also. Natürlich kann man ihm das nicht so sagen, das würde ihn ja demotivieren. Deshalb sagt man ihm irgendwas in der Richtung: „Das ist ja eine super Idee, reden Sie doch mal mit der Organisationsentwicklung.“ OE is not amused, weil da jemand in ihrem Revier herumpieselt. Fragt empört in der Chefetage an, was das soll. Chefetage winkt ab. OE hat also freie Bahn, das Projekt zu killen.
Um das geschickt anzustellen, wird dem NLL mitgeteilt, dass man erst mal eine empirische Grundlage für seine Umstrukturierung braucht, also wird eine Kundenumfrage in Auftrag gegeben. Das dauert. Parallel dazu wird Controlling alarmiert. Die rechnen ein bisschen herum und stellen fest, dass kein Budget für irgendetwas da ist, tut ihnen leid, ist ja ne schöne Idee. Der engagierte Niederlassungsleiter rechnet gegen, dass seine Idee sogar Geld spart. Verdammt. Controlling ist aus dem Spiel.
Organisationsentwicklung pikst den Betriebsrat an: Sind durch das neue Servicekonzept eventuell Arbeitsplätze gefährdet??? Der Betriebsrat macht Stimmung gegen die Idee, sogar bei deren Urheber*innen. So war das natürlich nicht gedacht, dass sie ihre eigenen Arbeitsplätze abschaffen. Die Mitarbeiter*innen haben langsam keine Lust mehr. Außerdem findet sich eine Fallstudie einer Unternehmensberatung, die beweist, dass das Konzept des NLL schon mal in Schweden ausprobiert wurde und dort gescheitert ist.
Der Niederlassungsleiter nervt wieder bei der Geschäftsführung, er will doch nur ein Pilotprojekt. Wenn es nicht läuft, kann man es ja einstampfen. Die GFs horchen auf. Einstampfen ist das Stichwort. Sie genehmigen das Projekt, es muss aber doppelt so hohe Einsparungen bringen wie avisiert. Die Kolleg*innen vor Ort sind geschockt. Wessen bescheuerte Idee war das neue Servicekonzept noch mal? Schuldzuweisungen. Das Team will jetzt gar nicht mehr, muss aber, um sein Gesicht zu wahren.
Personal zieht dem Niederlassungsleiter überraschend zwei Leute ab, „leihweise“, um personelle Engpässe woanders auszugleichen. Damit hat niemand mehr Zeit, sich um das neue Konzept zu kümmern. Tagesgeschäft geht vor! Das Pilotprojekt dümpelt so vor sich hin, so wird das nix.
Der NLL ist verzweifelt. In dieser Lage bietet ihm die Chefetage einen neuen Job in der Zentrale an. Schade eigentlich, jetzt kann er das Pilotprojekt gar nicht mehr … Ruhe in Frieden, neues Servicekonzept! Es wurden letztlich nur eine einzige Idee umgesetzt. Ab und zu fragt noch mal jemand danach, dann heißt es: „Ja, wir haben es probiert, hat aber leider nicht funktioniert. War ne tolle Idee damals von dem Team.“ Fun fact: Das Team bekommt die zwei Leute nicht zurück – die wurden durch die einzig umgesetzte Idee eingespart.
Mit diesem – natürlich komplett an den Haaren herbeigezogenen – Beispiel möchte ich illustrieren, dass ohne den Willen von oben keine Veränderung möglich ist. Damit meine ich nicht nur, dass die Chefetage eine Neuerung duldet. Nein, sie muss 100-prozentig dahinterstehen, das Projekt fördern und, sorry für die Phrase, zur Chefsache machen.
Und selbst dann wird es scheitern, wenn es nicht ins System passt. Das System ist immer stärker. In meinem Beispiel hat der NLL aus dieser Erfahrung gelernt. Er hat noch ein paar gutgemeinte väterliche Hinweise aus der Chefetage bekommen und dann hat er endlich kapiert, was sein Job ist: Keinen Ärger zu machen und Ärger von der Chefetage fernzuhalten. Und schon ist das Leben ein langer, ruhiger Fluss. Bitte, danke.
Vielleicht lernt er aber auch nicht. Vielleicht ist er nämlich eine Frau (plot twist!) ???? und operiert gar nicht auf der Machtebene, sondern auf der Sachebene. Dann wird sie es immer wieder versuchen, im Kleinen wie im Großen. Sie ist einfach der Meinung, es sollte was verändert werden, WEIL ES SINN MACHT. Solchen Leuten empfehle ich dringend, sich entweder ein Unternehmen zu suchen, das Strukturen bietet, in denen Veränderung möglich und gewünscht ist, oder sich gleich selbstständig zu machen. ????
Revolution ist gefährlich
Der zweite Punkt: Man braucht für eine Revolution Leute, die nichts zu verlieren haben. Die meisten Angestellten haben aber etwas zu verlieren: ihren Job, und damit Geld, Status und vermeintliche Sicherheit. Das hindert viele daran, Risiken einzugehen – von einer Revolution ganz zu schweigen.
Drittens: Man muss die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen. Wenn man in einem Unternehmen wirklich etwas ändern will, dann ist Auf-den-Kopf-stellen eine gute Idee. Fußvolk an die Macht! Lasst diejenigen die Entscheidungen treffen, die sie ausbaden müssen. Ich bin absolut dafür.
Aber auch das ist nur möglich, wenn ein Geschäftsführer plötzlich keine Lust mehr hat, Geschäftsführer zu sein. Dann geht plötzlich ganz viel. Wenn aber die Chefetage an der Macht klammert, was der Normalfall ist, wird’s nix mit der Revolution.
Letting the women fix the system
Abgesehen davon bezweifle ich mittlerweile ganz stark, dass eine klassische Karriere überhaupt etwas Erstrebsames ist, insbesondere für Frauen. Denen wird ja gern gesagt, sie sollten sich fit machen für ein von Männern für Männer geschaffenes System. Fixing the women ist der Fachausdruck.
Oder aber, sie seien verantwortlich dafür, das System zu verändern. Ich nenne das mal Letting the women fix the system. Frauen werden ja auch gern geholt, wenn eh schon alles den Bach runtergeht. Schöner scheitern mit ner Frau an der Spitze. Nach dem Motto „Tja, wir haben ihr eine Chance gegeben, aber…“.
Keine Frage: Frauen sind bereits dabei, die Arbeitswelt zu verändern, allein schon durch ihre Anwesenheit. Wenn sie erst eine kritische Masse erreichen (Stichwort Frauenquote), wird sich da noch mehr tun.
Aber hört auf, Frauen irgendwo reinzuschicken mit nem freundlichen Klaps auf den Rücken, „Du machst das schon, bring mal den Laden auf Vordermann“ und ihr die Verantwortung aufzubürden, als MINDERHEIT, ein ihr feindlich gesinntes System zu verändern. Das ist unverantwortlich.
Ob Mann oder Frau oder irgendwas dazwischen: die allererste Verantwortung, die jemand hat, ist für sich selbst. Dafür zu sorgen, dass es einem gut geht, dass man Spaß hat, dass man das Leben genießt. Die Revolution hat nämlich ihren Preis. Und ob man den zahlen will, ist die Frage.
Disclaimer: Hab Che als Bild für diesen Beitrag gewählt, weil er die popkulturelle Inkarnation der Revolution ist (und einfach gut aussieht) und nicht, weil ich seine Ideale vertrete.
Linktipps:
- „Veränderung beginnt immer bei dir selbst!“ – Interview mit Geschäftsführerin Edith Stier-Thompson und Janina von Jhering, stellvertretende Leiterin Konzernkommunikation der dpa-Gruppe und verantwortlich für die Kommunikation bei news aktuell im Rahmen der #30mit30-Kampagne der Digital Media Women e.V.
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